Hexenjagd - kultur 47 - April 2008

Teuflische Verblendung - Hexenjagd von Arthur Miller in der Halle Beuel

Das System der Denunziation ist schlicht und universal: Einer beschuldigt – aus welchen Gründen auch immer – einen anderen, der unter Zwang weitere beschuldigt, bis in einem Teufelskreis der mehr oder minder bewussten Verleumdungen keiner mehr sicher ist. Der Inhalt der Beschuldigungen kann objektiv unsinnig sein, Zweck ist der Macht­erhalt. Der amerikanische Autor Arthur Miller (1915 – 2005) hat diese Erfahrung Mitte der 50er Jahre des 20.Jahrhunderts zur Zeit der Kommunistenhetze unter McCarthy selbst gemacht. Schauprozesse und erpresste Geständnisse sind freilich keineswegs nur traurige Vergangenheit wie der historische Massenwahn im kleinen puritanischen Dorf Salem/Massa­chusetts am Ende des 17. Jahrhunderts, dem mehr als zwanzig unschuldige Menschen zum Opfer fielen.
Der Regisseur Michael Helle setzt in seiner Inszenierung von Millers Hexenjagd (1953) auf die Allgegenwart und Unausweichlichkeit des Schreckens, der sich ausbreitet wie ein Fliegenschwarm. Ein kleines Mädchen trippelt auf das helle Holzparkett der riesigen leeren Bühne, deren glatter Boden sich nach vorne zur Mitte hin absenkt. Aus einem Glas entlässt das Kind lebendige Fliegen, die sich summend im Zuschauerraum verbreiten und manchem ziemlich hautnah zuleibe rü­cken, bis einige der schwarzen Biester am Ende im bläulichen Licht elektrischer Fliegenfänger knallend zerplatzen. Beelzebub bedeutet bekanntlich „Fliegengott“. In Helles kühlem Laboratorium der politischen Paranoia ist Sartres Drama Die Fliegen (1943) ebenso mitgedacht wie Goldings Anti-Utopie Herr der Fliegen (1954). Helle und sein Ausstatter Dieter Klaß verzichten auf jedes historische Dekor. Die Kos­tüme sind einheitlich schwarz-weiß und heutig; Individualität und dramatische Insistenz gewinnen die vielen Figuren durch die sorgfältige Ausleuchtung ihrer psychischen Entwicklung. Auf dem großen, abschüssigen Schauplatz steht jede Bewegung unter Beobachtung. Die Angst kriecht leise durch den Raum. Die körperliche Gewalt wird nicht ausgestellt, nur die Verstörung in den Köpfen.
Der Teufel soll seine Hand im Spiel gehabt haben, als die Mädchen des Dorfes zu den heidnischen Gesängen der schwarzen Sklavin Tituba (Miriam Ibrahim) nackt im Wald getanzt haben. Pastor Parris hat das wilde Treiben entdeckt; einige Mädchen, darunter Parris’ eigene Tochter Betty (Lisa Tschirner), sind seitdem in ein medizinisch unerklärliches Koma gefallen. Der Boden, aus dem nach und nach die Dorfgesellschaft auftaucht, wird heiß für den braven Seelenhirten, der um seine Autorität und seinen Lebensunterhalt fürchten muss. Stefan Preiss gibt eindrucksvoll einen schmierigen Opportunisten Parris, der die ganzen Hexerei-Gerüchte nicht wirklich glaubt und die Verantwortung anderen zuschiebt.
Beklemmend ist die grauenhafte Folgerichtigkeit aller Schritte, auch wenn der blanke Wahnsinn von Anfang an banale Methode hat: Die junge Abigail hat ihren Dienstherrn John Proctor verführt, will ihn um jeden Preis besitzen und dafür seine Gattin beseitigen. Eva Verena Müller spielt überzeugend die naiv selbstbewusste Erotik dieser Kindfrau, die die ihr plötzlich zugefallene Macht genießt und schamlos benutzt. Die Mädchen, die aus Angst vor der Bestrafung ihres verbotenen heimlichen Vergnügens zu jeder Lüge bereit sind, hat sie fest im Griff. Die Manipulation funktioniert: Eine bunte Mädchenhorde aus der Statisterie tobt kurz wie besessen über die Bühne und schreit jeden als Hexe aus. Unter dem Druck des Gerichts gibt sogar die junge selbstbewusste Mary Warren (atemberaubend gut: Maria Munkert) die Wahrheit auf und flüchtet in den Schutz der Gruppe zurück. Sie kann ihren Herrn, den rechtschaffenen Proctor, nicht retten.
Für das Ehepaar Proctor wächst eine ganze zeitgenössische Wohnküche aus dem Bühnenboden. Hier gibt es noch Nähe und Vertrauen, selbst wenn Johns Fehltritt mit Abigail die Katastrophe auf die Spitze getrieben hat. Yorck Dippes in allem Unglück aufrechter Bauer Proctor ist das eigentliche Zentrum der Geschichte. Er kämpft um das Leben seiner der Hexerei bezichtigten Frau, ringt mit seiner eigenen Schuld, gibt schließlich den Ehebruch zu, gesteht zur Rettung seiner Familie wider besseres Wissen sogar einen Bund mit dem Teufel, verweigert jedoch standhaft bis zum Galgen jede Verleumdung anderer. Birte Schrein (1997 in Dietrich Hilsdorfs Hexenjagd-Inszenierung die Abi­gail) ist eine ebenso aufrecht leidende Elizabeth Proctor, die von der brutalen Haft gezeichnet, dennoch ein Stück Menschenwürde bewahrt. Die beiden sind nicht mal schlichte Gutmenschen; sie können einfach nicht lügen.
Susanne Bredehöft bleibt als entrückte Heilige Rebecca Nurse in ihrer frommen Unschuld unantastbar, auch wenn sie dafür ihr Leben opfern muss. Wolfgang Jaroschka als ihr redlicher Mann Francis muss dem Verhängnis hilflos zusehen. Anke Zillich als Ann Putnam facht das Feuer der Hysterie gehörig an, Günter Alt als feister reicher Bürger Thomas Putnam nutzt die Gunst der Stunde, um seinen Grundbesitz zu mehren. Ulrich Haas lässt als kauziger alter Giles Corey keinen Zweifel da­ran, dass er mehr von dem bösen Spiel begreift als die meisten anderen. Wolfgang Rüter besteht als Richter Danforth auf der vollen Härte des Gesetzes, lässt mit bürokratischer Unerbittlichkeit verhaften, foltern und hinrichten, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Dass die Quälerei kein sauberes Geschäft ist, macht Raphael Rubino als schwitzender Gerichtsbüttel Ezekiel Cheever deutlich, der quälend lange und bedrohlich die Fliegentötungsmaschinen auf der Bühne aufbaut.
Ein kleines darstellerisches Meisterwerk liefert Helge Tramsen als Reverend Hale, den Parris als theologischen Beistand ins Dorf geholt hat. Vom intellektuellen Exorzismus-Profi und lässigen Manager der verhexten Seelen mutiert er zum mitleidigen Menschen, der am Ende nur noch das unbarmherzige Räderwerk der Justiz stoppen will. Die Hexenjagd in Salem ist längst nicht mehr sein Job, wenn er freiwillig, aber leider vergeblich um John Proctors Leben kämpft.
Denn auf dem gefährlichen Gelände zwischen der subjektiven Überzeugung, zum Wohl der Gemeinschaft zu handeln, dem Selbstbetrug, der Selbstgerechtigkeit und der objektiven Lüge zur Sicherung eigener Interessen ist kein Platz für Menschlichkeit und Vernunft. Die Aufführung präpariert das sorgfältig aus Millers Stück heraus und überlässt die naheliegenden, aktuellen Schlussfolgerungen dem Publikum. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¾ Std., inkl. Pause
Im Programm bis: 25.05.08
Nächste Vorstellung: 02.05.08

Donnerstag, 17.11.2011

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