Das Kind in mir - kultur 34 – Februar 2007

Bewegung in bewegten Bildern - Das Kind in mir im Animax

Ein junger Mann schlendert auf die Bühne, blättert versonnen in einem alten Fotoalbum. Plötzlich tauchen die bunten Figuren aus der Kindheit wieder auf, die Bilder werden lebendig. Die Dimensionen verschieben sich: Der Sessel ist viel zu groß, das Kind im Mann wird klein. Die Tänzerin und Choreographin Simona Furlani hat ihrer Inszenierung Das Kind in mir im multimedialen Animax-Theater (im Gebäude des Kinopolis Bad Godesberg) die ursprüngliche Ballettfassung von Maurice Ravels Oper L'Enfant et les sortilèges zugrunde gelegt. Idee und Text des 1916 entstandenen Werkes stammen übrigens von der berühmten französischen Schriftstellerin Colette. Ravels geistreiche, impressionistisch pointierte Klavierkomposition hat Thomas Wise, Studienleiter an der Oper Bonn, eigens für diese Produktion, das erste Familienstück des Choreographischen Theaters Bonn, neu eingespielt.
Die Tänzer entdecken ihre eigenen, auf den Boden projizierten Kindheitsbilder, bevor sie zu Fantasiefiguren (zauberhafte Ausstattung: Mahela Rostek) werden und der ganze Raum scheinbar in Bewegung gerät. Es ist ein virtuelles Wohnzimmer aus computeranimierten Bildern, dessen Wände sich schwindelerregend drehen und ständig neue Perspektiven eröffnen. Die übergroße Mutter (Simona Furlani) im feuerroten Kleid rollt auf einem Podest riesenhaft bedrohlich herein. Unter ihrem weiten Rock kriecht ein kleines Kind hervor und beginnt, die Zauberwelt der Großen mit eigenen Augen neu zu entdecken. Das große Kind (als verschrecktes und gleichzeitig aggressives kleines Monster: Ricardo Diaz) hat die Schulaufgaben satt und will den Märchenprinzen spielen. Dass dabei dem grauen Kater schnöde der Schwanz abgerissen wird, ist nur der Anfang seiner Wüterei. Das arme Vieh (Przemyslaw Kubicki) flüchtet in die Pendeluhr, deren Zifferblatt sich selbstständig macht. Ein Vogel flattert aus dem Gemälde an der Wand, die Giraffe verlässt ihren Rokoko-Bilderrahmen, die Kaminpferdchen heben ihre Vorderhufe, bis die Flammen nach dem Vorhang züngeln. Die schöne Buchprinzessin (Daniela Greverath) wird von den vorbeihuschenden Seiten ihrer aus dem Regal geklaubten Lesefrüchte verfolgt. Irgendwann verwandelt sich das durchs Fenster hereindringende Stadtgetümmel wieder zum sanft gezähmten Park und dann zum Urwald mit Schlingpflanzen und einem verletzten Waldtier (Linda Ryser), das dringend menschliche Hilfe und Zuwendung braucht. Der kleine Junge begreift das und findet damit endlich zu dem Mitgefühl, ohne das die Welt im Chaos versinken würde.
Die Poesie der klar erzählten Geschichte liegt in den surrealistisch bewegten Bildern und der tänzerischen Unmittelbarkeit, der Witz im spielerischen Einsatz der Animax-Rechner, die über Sensoren auf die Tänzer reagieren und die Märchenwelt jedes Mal neu zum Leben erwecken. Die vom Land NRW großzügig unterstützte erste Zusammenarbeit des Theaters Bonn mit dem ansonsten eher am Rand der Bonner Kulturszene agierenden Experimentier-Team des Animax könnte über den ästhetischen Mehrwert des digitalisieren Zaubers die Generation Playstation durchaus vom Bildschirm wieder ins Theater locken. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 50 Min.

Geeignet für aufgeweckte Zuschauer ab 6 Jahren.

Für Schulgruppen sind Sondertermine möglich, bei denen auf Wunsch auch die komplizierte Technik hinter den Kulissen erklärt und auf der Bühne ausprobiert werden kann.

Donnerstag, 01.02.2007

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