Traumnovelle - kultur Nr. 22 - Dezember 2005

Verträumter Totentanz - Schnitzlers "Traumnovelle" in der Pathologie

Wiener Walzerseligkeit auf der Analyse-Couch von Papa Freud, Fledermaus im Triebtraum ernüchtert. Reinar Ortmanns Bühnenbearbeitung und Inszenierung löst die Rätsel in Schnitzlers "Traumnovelle" nicht so einfach wie Stanley Kubricks Film "Eyes Wide Shut", aber zeigt durchaus die weit geöffneten und deshalb für die eigenen Triebe verschlossenen Augen des Paares, dessen gutbürgerlichen Maskenspielen in einer Nacht am Ende des Wiener Faschings gefährlich der Boden unter den Füßen wegrutscht. Ortmann hat aus Schnitzlers Albertine, die durchaus Einiges gemein hat mit Prousts gleichnamiger und gleichzeitiger Figur, eine weiße Alba gemacht. Und aus dem ihr angetrauten Arzt Fridolin einen kecken Frido, der nach einer ehelichen Aussprache über die verdrängten kleinen erotischen Geheimnisse eher zufällig aus seinen oberflächlichen Tagesresten in die tieferen Geheimnisse der Triebängste rutscht. Julian Rohdes Ausstattung illustriert das hübsch hinterhältig mit seltsam verrenkten Schaufensterpuppen in eher lustvoll als gewalttätig verfremdeten Sado-Maso-Posen.
Martin-Maria Vogel ist der verirrte Kleinbürger, der sich hilflos durch die Nacht treiben lässt und sexuelle Neugier mit intellektueller verwechselt, bis ihn bei den vermischten Zeitungsnachrichten und im Leichenschauhaus der süße Hauch des Todes eiskalt erwischt. Die kapriziöse Maren Pfeiffer ist der weibliche Teil der merkwürdigen Triebmagie seiner Passionsstationen, als Alba die häusliche Gattin und Mutter, die am liebsten mit einem schönen jungen Dänen (Wagners "Fliegender Holländer" grüßt von ferne) durchgebrannt wäre und ihren Ehemann im Traum kreuzigt, um sich frei begehren zu lassen und hingeben zu können. Als soeben vom Tod ihres Vaters heimgesuchte Marianne spielt sie das verhuschte, verblühte Mädchen, als abgebrühte Nutte Mizzi das sentimentale Mädel, bei einer wüsten Orgie die namenlose Retterin, die sich selbst der Liebe opfert. Schnitzler muss das "Sacre du Printemps" (1913) gekannt haben, als er 1925 seine "Traumnovelle" schrieb, und Strawinskys flirrende Ballettmusik hätte besser zur Aufführung getaugt als das übliche Tango-Gedusel vom Band, schön zerhackt von einem die Zeit zum Agens der Erzählung machenden Metronom. Die spitzen Farbtöne von Schnitzlers jugendstiligen Endzeitblüten trifft die unprätentiöse Aufführung dennoch. E.E.K.

Aufführungsdauer: ca. 70 Min. ohne Pause
Im Programm bis: ???

Mittwoch, 17.01.2007

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