Die Jungfrau von Orleans (Kammerspiele) - kultur Nr. 3 - 1/2004

Die eiserne Jungfrau, die nicht lieben darf - Schillers romantische Tragödie „Jungfrau von Orleans“ in den Kammerspielen

Der Donner grollt, die Kettenhemden rasseln, die Schwerter klirren - Stefan Ottenis Inszenierung lässt keinen Zweifel daran, dass Krieg herrscht im von den Engländern fast schon zur Hälfte besetzten mittelalterlichen Frankreich. Friedrich Schillers "Jungfrau von Orleans" bewegt sich auf den hellen Holzplanken in Franz Lehrs schön durch rabiate Zwischenvorhänge gestaffeltem Einheitsbühnenbild zwischen Gewalt und Menschlichkeit. Die riesige Eiche, der atavistische Zauberbaum, wird aus dem Boden gerissen und bleibt mit den Wurzeln in der Luft hängen, wenn die zarte Schäferin den vertrauten Heimatboden verlassen hat und sich in die Weltgeschichte einmischt. Patrycia Ziolkowska spielt die Titelrolle mit überwältigender Energie und unerschütterlicher Klarheit. Sie ist das Glanzlicht dieses Abends, der sein im Prolog vorgelegtes Tempo leider nicht immer durchhält. Sie wird zum von Gott gesandten androgynen Engel, der sich allem männlichen Begehren verweigern muss, und steht nach der Übertretung dieses Gebots so von Gott verlassen vor dem Vorhang, dass ihre Verzweiflung einem die Tränen in die Augen treiben kann. Selbst ihre Mutter Isabelle hat sie im Stich gelassen, so wie die alte herrschsüchtige Königin Isabeau ihren Sohn verleugnet. Otteni nutzt hier klug die historische Namensgleichheit von Johannas bürgerlicher Mutter, die er an die Stelle des von Schiller vorgesehenen Vaters setzt, und der Mutter Karls VII. (Lore Stefanek gibt beiden eine brillante sprachliche Präsenz).
Gleich am Anfang hockt der arme König Karl, wie alle anderen in hellgrauer Einheitskluft, mit seiner Geliebten Agnes Sorel am Bühnenrand. Hubertus Hartmann spielt den kriegsmüden schwachen Herrscher noch etwas blasser als er muss und wird unfreiwillig komisch, wenn er als nackter Dauphin von Agnes (Kornelia Lüdorff), der Kostümbildnerin Sonja Albartus mit der wiedergewonnenen Macht ein seltsam animalisches Pelzkleid verordnet hat, vor der Krönung eher getauft als gesalbt wird. Ihm verhilft auch der aus dem Boden gezogene riesige blaue Königsmantel nicht mehr zur königlichen Würde. Das politische Machtspiel treiben ohnehin die Männer an seinem Hof - herausragend Hendrik Richter als Erzbischof von Reims. Otteni lässt das männliche Ensemble dauernd in verschiedenen Rollen die Seiten wechseln und macht klar, dass es eigentlich schon egal ist, ob man kämpft oder sein Glück abseits der Staatsgeschäfte sucht. Schuldig am Scheitern der Heldin Johanna sind alle, die von Schillers Text ab und zu in die inquisitorische Sprache des Prozesses wechseln, an dessen Ende Johannas Verbrennung als Ketzerin stand.
Schiller wollte seine Jungfrau nicht auf dem Scheiterhaufen sterben lassen, sondern in der Glorie des Schlachtfelds. Dass der Tod dort meistens klein und hässlich ist, beweist das quälend lange Ende des englischen Feldherrn Talbot (Bernd Braun), dem die Kameraden mit einer letzten Zigarette das Sterben erleichtern. Johanna schlachtet herzlos den unglücklichen Walliser Montgomery (Tugsal Mogul, der in seiner Rolle als Raimond unbeirrbar zu Johanna hält), lässt jedoch den Gegner Lionel (Daniel Wiemer) einfach laufen. Es ist dieser kurze Moment des unmittelbaren Gefühls, der sie schutzlos macht. Ziolkowska spielt das so, dass der simple Konflikt zwischen erotischer Anziehung und Keuschheitsversprechen aufgeht in dem größeren zwischen der Entdeckung ihrer weiblichen Subjektivität und ihrer Objektivierung als geschlechtslose Figur im Spiel der göttlichen Wunder mit der gottvergessenen konkreten Geschichte. Wenn die naive Heimat sie aus dem Zuschauerraum einholt, ist das ein eher alberner, längst vernutzter Gag. Wenn Wolfgang Jaroschka als Köhler durch die heidnischen Wälder geistert, macht er zumindest das Staunen der Unteren über den Unsinn der Oberen sinnfällig.
Für die Engführung aller Widersprüche erfindet die allzu langatmige Aufführung am Ende doch noch ein Bild, das Schillers Pathos zwar Lügen straft, aber seinem Traum vom ewigen, aus dem Leiden auferstehenden Frieden nichts wegnimmt: Johanna zitiert ihren Ketten sprengenden Aufbruch in die neue Schlacht als ihren eigenen Traum. Während alle sich zeit- und sinnlos am Boden balgen, geht sie einfach davon ins blendende Feuer. Weil sie über den entscheidenden Liebeszufall hinaus begriffen hat, dass das christliche Gebot der Nächstenliebe den Feind einschließt. Wie heikel und letztlich unmöglich das ist, erfahren wir aus den täglichen Terrorberichten.
E. E.-K.

Freitag, 26.02.2010

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 28.03.2024 11:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn