Die Kreutzersonate - kultur 82 - Januar 2012

Die Kreutzersonate von Lew Tolstoi im Euro Theater Central: Leidenschaft und selbsthass

Bearbeitungen von Erzähltexten haben Konjunktur auf deutschen Bühnen. Der österreichische Schauspieler Nikolaus Büchel, viele Jahre Dramaturg am Theater Bonn, wundert sich ein wenig, dass diese Tendenz bisher an der 1890 erschienenen Novelle Die Kreutzersonate von Lew Tolstoi vorbeigegangen ist. Er hatte eine Bearbeitung des skandalösen Textes, der Tolstois Gattin zu einem Gegenroman veranlasste, schon seit längerem geplant und das Projekt nun im Euro Theater verwirklicht.
„Ich aber sage euch: wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“ Diesen Spruch aus dem Matthäusevangelium hat Tolstoi selbst seinem Werk vorangestellt. Vom sexuellen Verlangen als Grund allen Übels und destruktivem Moment im Zusammenleben der Geschlechter berichtet sein Posdnyschew. Er argumentiert hellsichtig, kommt zu völlig klaren Einsichten und kippt in seinem Redefluss die eigene Logik ständig ins Absurde. Er analysiert unnachsichtig gesellschaftliche Zustände und leitet daraus groteske Folgerungen ab. Er verkündet Wahrheiten, ergötzt sich an intelligenten Sentenzen und wird in seinem philosophischen Anspruch unversehens abgrundtief lächerlich. Er ist ein an der Wirklichkeit scheiternder idealistischer Prophet der Keuschheit und ein selbstverliebt selbstmitleidig sich selbst hassender Geisteskranker, der möglicherweise längst in einer psychiatrischen Anstalt gelandet ist.
Büchel spielt das in seiner Inszenierung sehr körperlich, strukturiert seinen dramatischen Monolog mit theatralen Aktionen und auf eine Papierwand im Hintergrund geschriebenen Zahlen. Vierzig biblische Tage in der Wüste oder vierzig Kapitel eines Lebens, das auf den unvermeidlichen Mord an der innig gehassten Gattin zuläuft. Für das Bühnenbild hat der österreichische Künstler Jürgen Messensee seine Zeichnung „Porträt XXL“ zur Verfügung gestellt, die auf einem Kalenderblatt mit dem Datum „Christi Himmelfahrt“ die Zerrissenheit des aus der Zeit gefallenen Menschen markiert, der in seiner Sprach-Hölle hoffnungslos zerfällt. Seinen braunen Anzug zieht Posdnyschew irgendwann aus, schminkt sich halbnackt die Lippen blutrot und streift sich ein helles Damenkleid über. Bevor er mit einem Messer an seine Männlichkeit geht. Rote Farbe fließt nach diesem Schreckensmoment des Selbstekels auch aus den Teetassen, aus denen er anfangs dem Publikum russischen Tee serviert hat. Die Eifersucht kocht und der Tod hält Einzug im bürgerlichen Salon des braven Posdnyschew, der beim ersten Satz von Beethovens Kreutzersonate den Verstand verliert. Fragmente daraus erklingen in einer eigens für diese Theaterproduktion eingespielten Version des Pianisten Paul Gulda. Den Violinpart spielt live die junge Geigerin Theresa Lier, die wie ein ernster, sanfter Unschuldsengel im mädchenhaften Tüllkleid durch die Szenerie geistert und erstaunt die geistig-körperlichen Verrenkungen des fürchterlichen Familienvaters Posdnyschew betrachtet.
Ein hautnahes, intensives Theatererlebnis, das bei der Premiere zu Recht mit langem, überzeugtem Beifall belohnt wurde. E.E.-K.
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Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause.
Der nächste Termin: 31.01.12

Dienstag, 21.02.2012

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