Das Fieber - kultur 82 - Januar 2012

Das Fieber von Wallace Shawn im Euro Theater Central: Die Krankheit des Kapitals

Der Mann an der Bar hat sich zuvor zwischen die Zuschauer gemischt. Ein ganz normaler bürgerlicher Typ, gehobenes Bildungsniveau, wahrscheinlich geschäftlich unterwegs. Die immer gleichen Air-Condition-Nobelhotels, die man wegen der Slums direkt um die Ecke nur per Taxi verlassen kann. Jetlag, leichtes Fieber, im Bad zusammengeklappt, während irgendwo anders in der namenlosen Stadt ein armer Mann auf seine Hinrichtung vorbereitet wird. Der Mann, dem der Whisky langsam die Zunge löst, beginnt nachzudenken über die Widersprüche seines Lebens. Er kann sich vieles leisten, weil andere sich nichts leisten können. Er ist in einer guten Gegend aufgewachsen und wurde vor den schlechten Vierteln gewarnt. Er besuchte renommierte Universitäten, geht regelmäßig in Theater und Ausstellungen. Anderen wird jede Grundbildung verwehrt. Der feine Fisch, dem er möglicherweise eine Infektion verdankt, wurde gefangen von hungernden Menschen. Es sind simple, aber scharf unter die Haut gehende Wahrheiten, mit denen er sich und sein Publikum quält.
Die Regisseurin Gabriele Gysi, die nach fast zehn Jahren und einem zwischenzeitlichen Engagement als Dramaturgin an Castorfs Berliner Volksbühne wieder eine Inszenierung am Bonner Euro Theater Central übernommen hat, hat den langen Monolog über das Ende der Unschuld sehr aktuell neu bearbeitet. Das Fieber des 1943 geborenen Dramatikers und Drehbuchautors Wallace Shawn, 1991 uraufgeführt in New York und mit einem Off-Broadway Theater Award ausgezeichnet, ist eine hellsichtige Abrechnung mit der Weltökonomie, die den Reichtum der wenigen durch die brutale Ausbeutung der Massen garantiert. 2003 war das Stück bereits als Außenproduktion von Theater Bonn im Theater Die Pathologie zu erleben. Wolfgang Jaroschka spielte es als fiebrige Selbstzerfleischung. Der Schauspieler Knud Fehlauer präsentiert es kühler. Der Virus, der ihn in der fremden heißen Stadt erwischt hat und seinen Verstand zur Weißglut bringt, deutet sich als Schüttelfrost an. Sein Redefluss speist sich jedoch nicht aus kranken Wahnvorstellungen, sondern diagnostiziert zornig verzweifelt die Krankheit der globalisierten Wirtschaft. Sein eigener Wohlstand ist ein Verbrechen, seine Moral ist zynisch angesichts der täglichen Erfahrungen von Ungerechtigkeit und Gewalt.
Man weiß das leider alles und tut bekanntlich wenig dagegen. Gysis Regie steuert den eher undramatischen Text jedoch klug an vielen drohenden Banalitätsfallen vorbei und strukturiert die Redeweise des einsamen Thekenphilosophen geschickt. Er wechselt vom lässigen Weltbürger-Smalltalk zum schwitzenden Wutbürger-Pathos, ist hoffnungslos selbstmitleidig und emphatisch verletzt von den Qualen der Folteropfer, rappt seinen Marx, begeistert sich an revolutionären Phrasen, mimt den fanatischen Gutmenschen, Partyterroristen und demagogischen Sprechblasenproduzenten mit imaginärer Knarre für den bewaffneten Widerstand gegen alles Niederträchtige im sorglos guten Leben. Fehlauer spielt den „anständigen Menschen“ hochkonzentriert immer auf der Ebene einer durchgeknallten Kunstfigur mit Realitäts-Irrlichtern.
Als Barmädchen und ungerührte Zuhörerin der sich überschlagenden Einsichten fungiert die junge Praktikantin Olivia Dibowski (in anderen Vorstellungen die Schauspielerin Charlotte Benner), die gelegentlich mit ihrem Geigenspiel sanft eingreift in den Wörterstrudel des Kunden, der an der Bar kurz wegdöst, bevor er die Gespenster der schlafenden Vernunft weckt. Ein mutig ernüchterndes Spektakel im Konsum-Taumel des Mangel produzierenden homo oeconomicus. Sehr empfehlenswert für aufgeweckte Leute, die Ressourcen-Verteilungsgerechtigkeit noch nicht als Wunschtraum abgeschrieben haben. E.E.-K.


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Spieldauer ca. 100 Minuten, keine Pause.

Dienstag, 21.02.2012

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