Die Gerechten - kultur 83 - Februar 2012

Die Gerechten von Albert Camus im Euro Theater Central – Mitfühlende Mörder

Der Konflikt zwischen Notwendigkeit und Unentschuldbarkeit des Terrors prägt die Gespräche der vier russischen Sozialrevolutionäre, die einen Bombenanschlag auf ein Mitglied der herrschenden Klasse planen. Es geht um die moralische Rechtfertigung des Tötens für ein zukünftiges besseres Leben, an das sie glauben und für das sie ihr eigenes Leben zu opfern bereit sind. Eine kleine Gruppe von leidenschaftlichen Idealisten, die stolz ihre selbst auferlegte Pflicht erfüllen wollen. Eine merkwürdig zartfühlende Brüderlichkeit verbindet die einsamen ‚Gerechten’, die den Mord als Mittel im Kampf gegen die Ungerechtigkeit akzeptiert haben.
1905 tötete der junge Revolutionär Iwan Kaljajew mit einer Bombe den Großfürsten Sergej und wurde trotz des Gnadengesuchs der Witwe des Opfers hingerichtet. Albert Camus nahm den historischen Fall zum Anlass für sein 1949 uraufgeführtes Drama Die Gerechten. Das Euro Theater Central hat das Stück bereits 1976 zu Zeiten des RAF-Terrors auf die Bühne gebracht. Im selben Jahr wurde der Regisseur Jan Steinbach geboren, der hier 2010 bereits Camus’ Der Fremde sehr erfolgreich inszenierte, und nun einen sehr präzisen Blick wirft auf den zeitlosen Widerspruch von Menschenliebe und gewalttätigem Hass auf die Verhältnisse. Steinbach präsentiert kein philosophisches Thesenstück, sondern eine eindringliche Studie über die Psychologie des Terrors und die geradezu religiöse Hingabe an die Organisation. In seiner straffen Dialogführung hält er die Figuren perfekt auf dem schmalen Grat zwischen Identifikation und Distanz. Er zeigt in der Paradoxie ihres Denkens und Handelns ihr persönliches Leiden und ihre absurde Verblendung, ihre eiserne Disziplin und ihre Zweifel.
Sie hocken auf Koffern in ihrer engen konspirativen Wohnung (expressive Ausstattung: Franz Dittrich), greifen bei jedem Türklingeln zur Pis­tole und vertrauen sich gegenseitig grenzenlos. Fast liebevoll versteckt Bombenbauerin Dora den Sprengstoff in einem Blumenstrauß. Doris Lehner spielt die erfahrene Untergrundkämpferin, die ganz genau weiß, dass jede menschliche Regung den Täter aus dem Konzept bringen kann. Gegenüber dem sensiblen Kaljajew macht sie eine unwiderstehliche Rechnung auf: Wer seine Schuld mit dem eigenen Leben zurückzahlt, ist ein Gewinn für die Gesellschaft. In der Rolle der Witwe des Großfürsten wird sie später – elegant ganz in Schwarz – versuchen, den Mörder zum Leben zu ermuntern. Richard Hucke als lebensfroher, vor Begeisterung für die Revolte brennender Kaljajew scheitert bei seinem ersten Attentat, weil er die Kinder in der großfürstlichen Kutsche nicht umbringen konnte. Hucke spielt ungemein intensiv die Verzweiflung und das ohnmächtige Selbstbewusstsein dieses sehnsüchtigen Utopisten.
Frank Musekamp als Stepan, der die Demütigungen des staatlichen Gefängnisses überlebt hat und bei seinen Auftritten immer erst mal die Kapuze abstreift, gibt den unerschütterlichen Hardliner und in der Rolle des Zellenwärters und Henkers Foka den rück­sichtslosen Saubermann. Selbstmordattentate sind eitler Egoismus und für den Widerstand unbrauchbar, hat er seinen Genossen eingeschärft. Andreas Kunz überzeugt als unbestechlicher Anführer Boris Annenkow ebenso wie als aalglatter Geheimdienstler Skuratow, der Kaljajew vergeblich zum Verrat bewegen möchte. Dora hat den feinsinnigen Mörder geliebt und macht ihren unterdrückten Gefühlen mit einem gellenden Schrei plötzlich Luft bei Stepans Bericht von Kaljajews Hinrichtung. Sie wird von nun an die Bombe lieben und den Tod als höchstes Glück anstreben.
Eine hoch konzentrierte, brandaktuelle Aufführung! E.E.-K.

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Spieldauer ca. 90 Minuten, keine Pause.
Die nächsten Termine:
14.02.12// 15.02.12 // 26.02.12 // 10.03.12 // 17.03.12

Mittwoch, 12.09.2012

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