Lasst euch überraschen! - kultur 72 - Januar 2011

Familienfarce mit Tannenbaum: Lasst euch überraschen! in den Kammerspielen

„Das Wort ‚Familienbande’ hat einen Beigeschmack von Wahrheit“, lautet einer der bekanntesten Sätze von Karl Kraus. Freundlichkeit ist gewiss nicht die hervorstechende Eigenschaft der Familie, die Sibylle Berg in ihrem neuen Stück Lasst euch überraschen! zum Heiligabend versammelt. Das „Weih­nachtsstück“ ist ein Auftragswerk von Theater Bonn, das mit der scharfzüngigen Autorin regelmäßig zusammenarbeitet. Zuletzt war von ihr in der Werkstatt die Komödie Die goldenen letzten Jahre zu sehen.
Natürlich herrscht gepflegter Zynismus bei der weihnachtlichen Familienzwangszusammenführung, bei der fast jeder Satz eine giftige Gemeinheit ist, inklusive hübscher Sticheleien gegen Sozialdemokratie und die ach so hehren Werte der altlinken Elterngeneration. Natürlich verachtet Vater den Weihnachtsbaum als „abstoßendes Symbol der Bürgerlichkeit“ und Mutter kriegt die Krise, wenn sie nur an den unvermeidlichen Besuch der erwachsenen Sprösslinge denkt. Da versucht sie, „mit dem Bücherregal zu verschmelzen“ und klettert in einer der riesigen Bühnenskulpturen herum, mit denen Andreas Freichels die Familienvilla ausstaffiert hat. Wie von Geisterhand bewegt (tatsächlich hocken Statisten drin) formieren sich die Teile zu immer neuen Raumsituationen, und auch sonst spart die Inszenierung der niederländischen Regisseurin Maaike van Langen (in Bonn stellte sie sich mit Ibsens John Gabriel Borkman vor) nicht mit witzigen Effekten. Wenn die Welt nach ein paar Gläsern zuviel ihren Fußboden öffnet, verschwinden die Kinder tatsächlich in der Versenkung, zwei schweben in gläsernen Kugeln aus dem Schnürboden, und der mit einem Totenkopf geschmückte Tannenbaum steht zur dramatischen Bescherung in Flammen.
Rolf Mautz hat als alt-68er Vater die linke Rhetorik perfekt drauf und zelebriert den leicht vertrottelten Intellektuellen mit Hang zur Untreue ganz wunderbar peinlich. Mit gutem Rotwein, komfortabler Rente und schickem Eigenheim ist der Antikapitalismus ein Kinderspiel. Susanne Bredehöft mit grauem Langhaar und kurzem Oversize-Pullover spielt die frauenbewegte Mutter, die für sexuelle Emanzipation und Weltrevolution kämpfte und Kochen für unter ihrer Würde hielt. Eine gealterte Schönheit aus der Generation Woodstock und „Make Love not War“. Außerdem trinkt sie zu viel, was ihr herrlich hellsichtige Sentenzen entlockt. Auch wenn es wohl bloß eine Schnapsidee war, die Villa der ominösen „Huchel-Gesellschaft“ zu vererben.
Auf das wertvolle Haus spekulieren die Kinder, die ihre lieblosen Erzeuger gern in ein Seniorenheim entsorgen möchten. Arne Lenk ist der Sohn Lukas, erfolgreicher Ausstellungskurator mit akkuratem Scheitel und Bügelfalten-Anzug, der seinem Grauen vor dem elterlichen „sozialdemokratischen“ Lebensstil freien Lauf lässt. Mitgebracht hat er seine hochschwangere Freundin Lena, Art-Direktorin bei einem der wichtigs­ten Magazine des Landes und Öko-Romantikerin, die beim vom Chinesen gebrachten Festschmaus-Fast-Food (man speist selbstverständlich mit Stäbchen) gern von hungernden Kindern im Tschad redet. Maria Munkert stö­ckelt als werdende Mutter aus der Bionade-Generation durch die Familien-Wirrnisse. Natürlich nicht ohne Spitzen abzuschießen auf Lukas’ ältere Schwes­ter Marie, die in einer PR-Agentur arbeitet und nie guter Hoffnung war. Kornelia Lüdorff zeigt viel Bein zwischen Pelzstiefeln und Pelz-Miniröckchen (Kostüme: Beatrice von Bomhard) und Haare auf den Zähnen beim bissigen verbalen Schlagabtausch. Geschlagen gibt sich Oliver Chomik als Maries glatzköpfiger Gatte Fred noch lange nicht, auch als Lukas ihm maliziös seinen Rauswurf als Verlagslektor um die Ohren haut. Im Elchkostüm singt er fröhlich ein altfinnisches Volkslied, was so verzweifelt grotesk wirkt, dass es den anderen glatt die Sprache verschlägt. Zuvor haben Lukas und Marie gewichtelt und gedichtet, bis Simon & Garfunkel ertönten und Mama (inzwischen in Unterwäsche) das Bescherungs­glöck­lein schwang. Der Antikapitalismus hat abgewirtschaftet, es lebe der Materialismus!
Schön schauerlich, bis als echte Überraschung die junge Minu (Charity Laufer) hereinschneit, Produkt von Papas heimlicher Zweitfamilie und seiner engen Beziehung zur farbigen Seite der „Huchel-Gesell­schaft“. Das schwar­ze, blitzgescheite Mädchen wirbelt die Ha­ckordnung auf dem Boulevard der bildungsbürgerlichen Lebenslügen ordentlich durcheinander. Doch schließlich wird ein Christkind geboren, und alle umarmen sich gerührt. „Wir werden uns ärgern und hassen, aber wir werden eine Familie sein.“ Und wieder über das geschmack­lose, teure Kunstobjekt stolpern, mit dem Lukas seine Eltern vor Jahren beglückte. Same procedure as every year.
Ein unterhaltsames Pointenfeuerwerk mit frechen Sottisen aus dem Arsenal der postmodernen Gesellschaftskritik. Psychologischen Tiefgang haben die Figuren selten, werden aber vom brillant agierenden Ensemble so präzis überzeichnet, dass man in jeder amü­siert ein Stück Wirklichkeit erkennt. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1½ Std., keine Pause
Im Programm bis: ???
Nächste Vorstellungen:
23.12./25.12./31.12./8.01./14.01./29.01./18.02.

Montag, 21.03.2011

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