Der ferne Klang - kultur 82 - Januar 2012

Der ferne Klang von Franz Schreker in der Oper: Phantastische Sehnsuchtsmusik

Die Musik selbst ist das Thema von Franz Schrekers erster großer Oper Der ferne Klang, mit der der damals 34-jährige Österreicher 1912 schlagartig in die erste Liga der deutschen Opernwelt aufstieg. Das Zeug zu einem sensationellen Erfolg hat auch die neue Bonner Inszenierung des nach fast hundert Jahren nur noch selten gespielten Werks. Es ist eine selbstreflexive Geschichte, in der der Komponist, von dem auch das Libretto stammt, nicht nur sein eigenes Künstlerdasein in der Figur des Komponisten Fritz spiegelt, sondern dessen fiktives Leben wiederum als selbst geschaffene, letztlich scheiternde Oper. Es ist also verdoppeltes Musiktheater, aber trotz der intellektuell hochgestuften Konstruktion unerhört sinnlich.
Die Regie von Generalintendant Klaus Weise präpariert die psychologische Vielschichtigkeit in sehr klaren Bildern und mit einer ungemein präzisen Personenführung heraus. Als absoluter Glücksfall erweist sich der musikalische Leiter Will Humburg, der nach zahllosen Operndirigaten freimütig zugab, dass der zweite Akt des „fernen Klangs“ eine kaum noch überbietbare Herausforderung ist. Der ganze Raum wird zum Klanggebilde beim bunten Treiben in dem venezianischen Edelbordell „Casa di maschere“. Auf der Bühne spielt eine Zigeunerkapelle gegen ein unsichtbares venezianisches Orchester an. Chor und Extrachor (wie immer perfekt einstudiert von Sibylle Wagner) singen zeitweise aus dem Zuschauerraum, von allen Seiten werden Stimmen zugespielt. Das mit etlichen Gästen groß besetzte, inspiriert musizierende Beethovenorchester liefert dazu flirrende Klänge aus dem Graben. Humburg hält das alles präzis im Gleichgewicht, macht die komplexen Tonschichten transparent und trägt zudem noch die Gesangssolisten feinfühlig durch ihre extrem anspruchsvollen Partien. Eine Meis­terleistung, die vom Premierenpublikum mit Bravos und begeistertem Beifall belohnt wurde.
Dieses kam sogar in den Genuss, gleich zwei der weltweit extrem raren Tenöre zu erleben, die die Rolle des Fritz beherrschen. Nachdem Michael Ende zwei Wochen vor der Premiere wegen eines Bandscheibenvorfalls ausscheiden musste, sprang kurzfristig der Amerikaner Michael Putsch ein, der die Partie in diesem Jahr schon am Staatstheater Nürnberg gesungen hat. Wie gut er sie schauspielerisch beherrscht, konnte man bei der Bonner Premiere schon erleben. Sängerisch konnte er sie an diesem Abend krankheitsbedingt nur markieren (bei den weiteren Vorstellungen wird man ihn aber auch hören). Die Stimme lieh ihm der Tenor Mathias Schulz, der vom Bühnenrand aus sang. Und zwar so fabelhaft gut und vorzüglich auf das Bühnengeschehen abgestimmt, dass es der Aufführung nichts von ihrem Glanz nahm. Ein Kompliment an Christian Firmbach, den künstlerischen Betriebsdirektor der Bonner Oper, der offenbar jede Grenzsituation zu meistern versteht!
Fritz verlässt seine geliebte Grete auf der Suche nach einem romantischen Klangideal. Reich und berühmt will er zu ihr zurückkehren. Das Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen wird von seinem Vater brutal an einen Kneipenwirt verschachert. Einfach wunderbar verkörpert Ingeborg Greiner die junge Frau, die die eigentliche Hauptfigur des Dramas ist. Sie hat die schutzlose Naivität und die lyrische Innigkeit; ihr Sopran blüht dramatisch auf, wenn sie ihren erwachten Trieben folgt, als Objekt des männlichen Begehrens zur Marilyn-Monroe-blonden Königin eines Lustimperiums wird und schließlich als Asphaltschwalbe endet. Greiner ist ein gesangliches Ereignis auf Weltklasse-Niveau.
Am Ende des ersten Aktes schwebt eine riesige schillernde Muschel vom Bühnenhimmel, die an Botticellis „Geburt der Venus“ erinnert (Bühne: Martin Kukulies). Grete, die sich nach ihrer grausamen Demütigung und einem Selbstmordversuch auf Eisenbahngleisen in einem der irrsinnigsten Liebesträume der Musikgeschichte dem Wald als rauschhafter Erfüllung ihres sexuellen Verlangens hingegeben hat, schwingt sich auf eine als bekanntes erotisches Bildmotiv regelmäßig wiederkehrende Schaukel.
In der erotisch aufgeladenen Wellness-Oase in der Lagune von Venedig tummeln sich Sauna-Girls (Choreographie: Miguel Angel Zermeño) und eine schillernde Halbwelt (Kostümorgie: Dorothea Wimmer). Anjara I. Bartz als geheimnisvolles altes Weib mit Krücke – Märchenhexe, Kupplerin und später Kellnerin in einer Theaterkneipe – hat die unscheinbare Grete Graumann zum freudlos brillanten Freudenhaus-Star Greta gemacht, dem die Herren reihenweise zu Füßen liegen. Der Bassbariton Renatus Mészár, zuvor der väterliche Saufkumpan Dr. Vigelius, wirbt als „Graf“ mit der tieftraurigen „Ballade von der glühenden Krone“ um die käufliche Nachtschwärmerin. Übertrumpft wir er von dem Tenor Mark Rosenthal, der als „Chevalier“ mit seinem heiteren Blumen-Mädchen-Lied auf der eigens zu diesem Zweck reaktivierten Lichtbrücke des Zuschauerraums herabschwebt.
Auf den hohen Gestellen für die Verfolgerscheinwerfer (Licht: Thomas Roscher) klettern etliche herum. Schwindelfrei und sängerisch hinreißend bewähren sich dabei Julia Kamenik, Kathrin Leidig und Emiliya Iwanowa als entzückende leichte Mädels Mizzi, Milli und Mary. Als Schauspieler, der in Fritzens Oper die Rolle des billigen Schmierenschauspielers rigoros verweigert, glänzt der Bariton Giorgos Kanaris. Frank van Hove gibt den windigen Provinzwirt und aasigen Puffbaron mit blutrot geschminkten Lippen. Egbert Herold und Suzanne McLeod machen als Elternpaar Graumann gute Figur zum bösen Spiel.
Grete/Greta verdient als Straßenhure Tini ihr Geld, als sie den todkranken Fritz nach der Premiere seiner am letzten Akt gescheiterten Oper „Die Harfe“ wiedertrifft. Der ferne Klang ist greifbar, wenn er der Stimme der Natur (das Vogelgezwitscher wird illustriert durch eine ganze Bilderbuch-Vögelschar) folgt. Leider denkt er beim finalen Liebesmoment wieder nur an seinen Bühnenerfolg. Der erfundene Komponist ist tot, Schrekers Oper lebt jedoch musikalisch grandios in einer geist­reichen, aufwändig ausgestatteten Inszenierung, die gute Chancen auf einen Spitzenplatz in der überregionalen Szene hat. Prädikat: Ohne Einschränkungen absolut sehens- und hörenswert! Sofort Karten bestellen! E.E.-K.

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Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. zwei Pausen.
Im Programm bis 17.03.12
Die weiteren Termine:
21.01.12// 10.02.12 // 26.02.12 // 10.03.12 // 17.03.12

Dienstag, 21.02.2012

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