Hedda Gabler - kultur 72 - Januar 2011

Die Schöne und die Billy-Welt: Hedda Gabler in den Kammerspielen

„My Heart Belongs to Daddy“ – Hedda Gabler ist eine Vatertochter, die nie wirklich erwachsen wurde. Ausgeritten ist sie mit dem General, hat sich verwöhnen lassen und müde getanzt, bis ihre Zeit um war und ein standesgemäßer Gatte hermusste. Familie, Mutterschaft, Verantwortung – nein danke! Hedda will spielen, am liebsten mit lebendigen Menschen, weil das Leben an ihr vorbeigeht und sie mit ihrer großen Sehnsucht allein lässt. Hedda Gabler ist eine der rätselhaftesten Figuren in Ibsens Panoptikum der bürgerlichen Lebenslügen.
Regisseur Klaus Weise holt sie vom Ende des 19.Jahrhunderts (das Stück wurde 1891 in München uraufgeführt) dicht an die Gegenwart, löst bewusst keins ihrer Rätsel, sondern macht sie in einem guten Sinn fragwürdig. Wie bei seiner erfolgreichen Nora-Inszenierung hat er den Text entschlackt und mit heutigen Redeweisen aufpoliert. Das funktioniert ebenso überzeugend wie die präzise Typenzeichnung in der kühlen Ausstattung von Fred Fenner. Die hohen weißen Regale, die wie Ikeas Klassiker Billy aussehen, sind noch ziemlich leer in der teuren Villa, die Hedda und ihr Gatte Jörn Tesman nach ihrer langen Hochzeitsreise bezogen haben. Stabiler als Billy sind sie gewiss, denn einige Klettereien müssen sie aushalten, wenn mal wieder jemand die Wände hochgeht oder unter den Brettern weg kriecht zu den bunten vertikalen Farbstreifen im Hintergrund (gemalt in den Werkstätten nach dem Bild „Switch the light on II“ von Weises Gattin Johanna Heß). Wohnst du schon oder lebst du noch? – das scheint zwischen Umzugskartons und bescheidenem Designerschick die Grundfrage der jungen Ehe zu sein, deren Protagonisten nicht gerade frisch verliebt aussehen.
Gern aus einem der weißen Regalkästen hervor lugt – warum auch immer – das schwarze Au-Pair-Mädchen Charity (die ausnehmend hübsche Alanus-Studentin Charity Laufer, 2006 „Miss WM Ghana“). Sie ersetzt das bei Ibsen recht unscheinbare Dienstmädchen Berta, hat auch hier wenig zu sagen, darf aber viel Bein zeigen und sich auf dem Sofa räkeln, während die Herrschaften sich angiften. Als erotischer Durchlauferhitzer im eisigen Machtkampf der Geschlechter bleibt sie ein Nebenaspekt. Hedda Gabler will das absolut Schöne, also das Kunstschöne (wobei sie sich für Kunst überhaupt nicht interessiert), und nicht das naiv Natürliche. Auch nicht das Gute, das das Schöne vereinnahmt, um es auf dem Podest der bürgerlichen Moral auszustellen.
Hedda Gabler protestiert gegen das Mittelmaß ihrer Umgebung und erstickt an der eigenen Mittelmäßigkeit. Katharina von Bock spielt sie vor allem als Täterin: sehr schön mit langem Blondhaar und immer kürzeren Etuikleidchen. Sie kann zickig und sanft sein, boshaft verletzend und verbissen kalkulierend, schamlos souverän und albern hilflos, gemein und verstört, hart wie Glas und selbstverliebt bis zur Schmerzgrenze. Ein merkwürdig zerbrechliches Geschöpf, das keine Gefühle weckt und Sex als Waffe benutzt wie die väterlichen Pistolen. Ihr Ehemann und Bücherwurm Jörn Tesman scheint sie eher als kostbares Sammlerstück zu betrachten und widmet sich ansonsten liebevoll seinen alten Tanten und seinen Mittelalterforschungen. Germain Wagner spielt diesen begnadeten akademischen Langweiler von schlichtem geistigem Zuschnitt sehr genau auf der Kippe zur Lächerlichkeit. Mutig darüber hinaus geht Tatjana Pasztor als Heddas Jugendfreundin und Jörns ehemalige Geliebte Thea Elvstedt. Die hat für wirklich alles eine praktische Lösung (inkl. Nagelschere und Deoroller) und nervt ganz fürchterlich mit ihrer Schein-Emanzipation aus einer Versorgungsehe und ihrer emotional depravierten Opferbereitschaft. Ledig geblieben ist Tesmans bigotte Tante Juliane, herrlich schrullig verkörpert von Susanne Bredehöft.
Diese schrecklichen Gutmenschen sind bes­tenfalls Sättigungsbeilage für Heddas Lebenshunger. Befriedigen könnte den ihr eins­tiger Liebhaber Ejlert Lövborg, von Thea aus dem Alkoholsumpf gerettet und durch ein Aufsehen erregendes Buch zum wissenschaftlichen Konkurrenten Tesmans geworden. Ralf Drexler macht aus dem verlotterten Genie eine anrührende Studie über das Versagen. Sein Lövborg weiß genau, was er könnte und warum er es nie erreichen wird. Er ist ein zielloser intellektueller Streuner in der so genannten guten Gesellschaft. Sein von Hedda flammend befördertes Ende ist leider erbärmlich. Kein lorbeerumkränztes Haupt, kein Tod in Schönheit und Würde.
Lässig auf dem Niveau der unbarmherzigen Dame spielt Wolfgang Maria Bauer als Richter Brack. Der ist ein Ästhet und brillanter Zyniker, der zwischen den Schenkeln eines soliden Dreiecks gern die Basis besetzen möchte. Eher sportlich als seelenverwandt. Der Siegertyp hat keine Sehnsüchte mehr, sondern Lust auf eine Frau, die ihm wider Willen heimlich gehorchen muss. „Sowas tut man doch nicht“, lautet sein peinlich berührter Kommentar zum finalen Schuss, während Herr Tesman und Frau Elvsted fleißig an der Rekonstruktion von Lövborgs Lebenswerk arbeiten. Ganz oben auf dem Bücherregal ließ der gefallene Engel Hedda Gabler sein goldenes Haar über verstaubte Buchleichen fließen, bevor Papas Pis­tole den Abschied aus dem verdammten Leben erleichterte. In Schönheit sinnlich gestorben nach einer völlig sinnlosen Existenz.
Anziehend bei ihren Versuchen, aus dem Leben Kunst zu machen. Abstoßend bei ihren Anstrengungen, wirkliches Leben nicht zuzulassen. Ein gebranntes ewiges Kind des sich selbst reproduzierenden Materialismus, das ohne die Brandwunden der Realität ein bisschen kaltes Feuer entfachte. Aufgehoben wird Hedda Gablers komplexe Ambivalenz in sensiblen Charakterstudien mit raffinierten Tiefendimensionen und klugen Gegenentwürfen zu den Klischeevorstellungen der bekannten Bühnenfiguren. Schauspielerisch perfekt, effektvoll inszeniert, schmerzfrei tragikomisch bis zum bitteren Ende. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellungen: 23.01./30.01./17.02./23.02

Montag, 21.03.2011

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