Generation P

Zwischen Praktikum und Pragmatismus - Generation P in der Werkstatt

Eine lineare Berufsbiographie mit Gehaltszuwächsen als normaler Alterserscheinung erwartet heute kaum noch ein Hochschulabsolvent. 2006 stand „Generation Praktikum“ in Deutschland ganz oben auf der Liste der Wörter des Jahres. In mehreren europäischen Ländern wurde demonstriert gegen Firmen, die die prekäre Situation gut ausgebildeter junger Menschen in unbezahlten Praktika ausbeuten. Inzwischen wurde Entwarnung gegeben: Laut neueren Untersuchungen ist das postakademische Proletariat, das sich von einem Hilfsjob oder Zeitvertrag zum nächsten hangelt und nebenbei halbherzig vor sich hin promoviert, eher die Ausnahme. Es trifft vor allem Geistes- und Sozialwissenschaftler.
Irgendwo im diffus kreativen Bereich zwischen Medien, Kommunikation und Selbstverwirklichung sind denn auch die sechs jungen Leute („Jahrgang 1978“) angesiedelt, die Regisseur Frank Heuel, Leiter des freien Bonner „fringe-ensembles“, in seiner Inszenierung Generation P auf der Werkstattbühne präsentiert. Der Text des Stückes ist montiert aus Interviews, die der Fringe-Schauspieler Severin von Hoensbroech mit Betroffenen geführt hat. David Fischer (Pascal), Justine Hauer (Marie) und Laila Nielsen (Nina) vom fringe-ensemble und Arne Lenk (Markus), Maria Munkert (Katja) und Raphael Rubino (Kai) vom Ensemble des Schauspiels Bonn haben aus den Geschichten ganz eigene Figuren entwickelt: individuell mit einem ironischen Blick auf das Exemplarische.
Sie stellen sich vor auf der mit weißen Quadern und anderen geometrischen Elementen wie ein modernes Büro möblierten Bühne von Ansgar Baradoy: Radiojournalistin, Videoinstallationskünstlerin, Regisseur bei Film und Fernsehen, Leiter einer eigenen Werbeagentur oder Professor möchten sie werden. „Vielleicht wenn nicht mit dem einen halt klappt, dann mit was anderem.“ Nina aus Bulgarien plant „auf jeden Fall 5 Jahre ganz harte Arbeit“.
Aus dem spontan gesprochenen Material mit all seinen Lücken, grammatischen und inhaltlichen Sprüngen hat Regisseur Heuel einen stringent aufgebauten Theaterabend geschaffen, der sich spielerisch wunderbar leichtfüßig zwischen Ernsthaftigkeit und Groteske bewegt. Da kippt die lernwillige Marie die Bürotische um und hält sich an ihrem Glauben fest. Der ehrgeizige Markus stolziert mit weißen Klötzen an den Füßen herum. Die sensible Katja hockt in einer Art Wanne und steht auf dem Video-Bildschirm Kopf. Der schlaue Pas­cal packt sein Sofa auf den Schreibtisch und träumt von einem Häuschen am Meer. Der leicht verwirrte Kai tanzt angesichts seiner Fernbeziehung mit einem Stehlampenschirm. Die kesse Nina im roten Rolli zum schwarzen Leder-Minirock (schöne Kostüme von Annika Ley) bleibt in Kampfstellung und möchte sich nach der Karriere mit viel Geld zur Ruhe setzen, um einen Rosengarten zu pflegen. Und Markus regt sich richtig darüber auf, dass „die ganze Welt gewunken sagt“, obwohl es doch korrekt „gewinkt“ heißen muss. Echt „krass“ finden das auch alle anderen. Die Krise winkt ohnehin im Präsens, und die Banalität des utopiefreien Pragmatismus im Futur Zwei – ein Partizip Perfekt ersetzt die imperfekte Partizipation am bürgerlichen Wohlstand.
Die Fragen (z.B. „Warst du mal ganz unten in deinem Leben?“, „Wer steht dir am nächsten?“) werden eingeblendet. Monologe, Dialoge und Chorpassagen verbinden sich zu einem raffiniert strukturierten Konzert (Musik von Gregor Schwellenbach) aus kleinen Geheimnissen und großen Sehnsüchten. Die „Generation P“ bewegt sich auf „Nummer Unsicher“. Davon berichten die sechs Darsteller hinreißend klar, witzig und ohne jede Betroffenheits-Sentimentalität. Eine berührende, nachdenkliche und dennoch sehr kurzweilige Aufführung, die viele Zuschauer aller Generationen verdient. Ein absolut gelungenes Theaterexperiment, das nebenbei auch beweist, wie gut die Zusammenarbeit zwischen Stadttheater und freier Szene funktionieren kann. Und ganz nebenbei noch ein intelligenter Beitrag zum „Jahr der Geisteswissenschaften“, das an der Uni Bonn trotz amerikanischem Lesemarathon im Exzellenzwettbewerb um Ranking-Punkte öffentlich etwas unauffällig blieb. 2008 ist übrigens ein „Jahr der Mathematik“ angesagt. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 90 Min. ohne Pause
Im Programm bis: ???
Nächste Vorstellung: .08

Samstag, 02.01.2010

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