Die Großherzogin von Gerolstein - kultur 43 - Januar 2008

Durchgeknalltes Operettenmanöver - Die Großherzogin von Gerolstein von Jacques Offenbach in den Kammerspielen

Die Uraufführung von Jacques Offenbachs Opéra bouffe 1867 anlässlich der Pariser Weltausstellung war ein Bombenerfolg. Obwohl mitten in die Festlichkeiten die Nachricht von der Erschießung des Kaisers von Mexiko platzte – Eduard Manet widmete dem Ereignis noch im selben Jahr ein großes Gemälde. Maximilian, Bruder des österreichischen Kaisers, von Gnaden des (vom Volk gewählten) französischen Kaisers Napoleon III. als Herrscher auf dem fernen Kontinent installiert, starb ebenso ruhmlos wie eine Menge Soldaten, die in einem sinnlosen ‚Operettenkrieg’ schlicht verheizt wurden. Der Kölner Wahlfranzose Offenbach machte sich in seiner Herzogin von Gerolstein bitterböse lus­tig über den säbelrasselnden Militarismus in Frankreich und Deutschland, der 1870 bekanntlich in einen blutigen Krieg mündete.
Dass es um einen Tanz auf dem Vulkan geht, verschweigt die witzig freche Inszenierung von Kay Voges in den Kammerspielen nicht, auch wenn die historischen Begleitumstände nach 140 Jahren keine Rolle mehr spielen und der fröhliche Klamauk bis zum drastischen Ende dieses ziemlich durchgeknallten Operettenmanövers im Vordergrund steht. Da wird aus dem heiligen Säbel von Papa denn auch gleich eine moderne Säge: „Texas Chainsaw Massacre“ im deutschen Wald, den Ausstatterin Pia Maria Mackert hübsch in den Himmel über dem Kleinstaat Gerolstein wachsen lässt. Dessen Großherzogin hat offenbar nicht nur nüchternes Mineralwasser im Blut, sondern von Phall zu Fall auch prickelnden Champagner. Außerdem besitzt sie ein reichlich eigensinniges Köpfchen überm üppigen Dekolleté, weshalb sie mit Jeep und munterem Anhang gern mal ihre Armee heimsucht und ­sich’s in deren Hauptquartier-Waldlichtung zwischen Fichten und Flugsand auf einem schicken weißen Sofa gemütlich macht. Die Dame hat nämlich ein Herz für ihre Soldaten: „Mir gefällt ein Mann enorm, trägt er eine Uniform!“ Die pfiffige deutsche Übersetzung des französischen Textes stammt übrigens von Bernd Wilms, der die inzwischen wieder häufiger auf deutschen Spielplänen zu findende Operette 2002 am Deutschen Theater Berlin inszenierte.
Die temperamentvolle Kira Primke ist mit ihrem sinnlichen, facettenreichen Sopran und ihrer spielerischen Präsenz eine Idealbesetzung für die Titelrolle. Ein schmollendes Fürs­tentöchterchen mit nymphomanischen Starallüren, das sich lustvoll schamlos daneben benimmt, scharf auf elegante Uniformen ist und gern am männlichen Heldenschweiß schnuppert. Der Ehebund mit dem sanft verblödeten, fetten Prinzen Paul (herrlich komisch: Günter Alt) kann warten, wenn die Staatsgeschäfte rufen.
Hofmeister Nepomuk (als skurriles Faktotum: Wolfgang Jaroschka) und Baron Puck (gnadenlos grotesk zwischen Stumpf- und Scharfsinn: Wolfgang Rüter) haben mit dem Feld der Ehre wenig im Sinn, aber immerhin eine Strategie: Ein netter kleiner Krieg (egal ob Angriff oder Verteidigung) wäre zum Ausgleich des Hormonspiegels ihrer politisch ausgebrems­ten Chefin mal wieder fällig. Der eitle General Bumm (glänzend als grimmig grinsende Knallcharge: Yorck Dippe) würde mit seinem Federbuschhelm gern eine Schlacht dekorieren und hat zudem ein Auge auf die junge Wanda (entzückend mit brillanter Soubrettenstimme: Anna Therese Brenner) geworfen, die gern über allen Baumwipfeln Ruh sucht und noch lieber den kleinen Gefreiten Fritz freien möchte. Hendrik Richter spielt und singt diesen sympathischen Jungen aus dem Volk fabelhaft intelligent. Kein Wunder, dass der nette Kerl in Uniform der Großherzogin so gut gefällt, dass sie ihn flugs zu ihrem obersten Feldherrn befördert. Bumms Federbusch steht ihm wirklich gut. Der Feind (wer auch immer das ist) kapituliert vor einer Schnapsoffensive. Der kühne Sieger Fritz strahlt. Der Hofstaat ist sauer. Und die Großherzogin kocht vor Wut, als Fritz trotz ihrer Liebesgeständnisse seiner Wanda treu bleibt. Da wird ein „liebenswertes Naturell“ ganz schnell „so furchtbar kriminell“.
Logische Folge: Mordkomplott vor dem putzigen Minizelt, in dem Fritz und Wanda ihre Hochzeitsnacht feiern. Wie’s da drin aussieht, geht jeden was an, wird also auf Großleinwand übertragen. Die Lage ist fatal, aber glücklicherweise nicht ernst. Prinz Pauls attraktiver Liebesbote Baron Grog (als pflichtgetreuer Diplomat: Helge Tramsen) bringt die Großherzogin zur Raison und setzt ihr großes Herz in neue Flammen. Außerdem gibt’s wieder einen schönen Krieg: „Es ist ein Spaß, Soldat zu sein.“ Das Ergebnis sieht leider nicht mehr nach Vergnügen aus, sondern nach blutigem Gemetzel. Mit der ruinierten Säge ist ohnehin kein Staat mehr zu machen. Gut gemeint – aber ein bisschen braver Horror zum Schluss kratzt nicht ernsthaft an der aufgekratzten Operettenseligkeit.
Den flotten Offenbachiaden-Sound lässt das kleine Orches­ter unter der Leitung von Michael Barfuß aus dem Graben vor der Bühne musikalisch mitreißend spritzig leuchten. Der famose kleine Chor (überwiegend Mitglieder des Extrachors der Oper, einstudiert von Ulrich Zippelius) singt, spielt und tanzt (amüsante Choreographie: Annabel Cuny) mit blendend guter Laune. Die beiden Gastsängerinnen in den weiblichen Hauptrollen sind eine Augen- und Ohrenweide. Ein Sonderlob gebührt dem männlichen Sextett aus dem Schauspielensemble. Sie singen herrlich schräg, setzen jeder Absurdität der Handlung noch eine schrille Pointe drauf und sägen so charmant an den maroden Wurzeln des Staates Gerolstein, dass man nur noch sagen kann: „Piff, paff, puff und ratatatadum“ – Abmarsch ins Theater! Und dann: „Alles Walzer!“ bis zum Umfallen. Nicht unbedingt eine intellektuelle Herausforderung, aber eine Aufführung mit frischem Suchtpotenzial und garantiert flüchtigen Nebenwirkungen.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2,5 Std., inkl. Pause
Im Programm bis: ??.??.08

Samstag, 02.01.2010

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