Finnland - kultur 80 - November 2011

Finnland vom Fringe-Ensemble im Theater im Ballsaal: Familiengeheimnisse

Die Genealogie wird auf dem Programmzettel mitgeliefert. Sonst käme man leicht ins Schleudern bei dieser Familiengeschichte, an der vier Theaterautoren (alle gehören zum schreibenden Stamm des Fringe-Ensembles) aus vier verschiedenen Ländern mitwirkten und einen eigenen Blick auf komplexe Konstellationen warfen. Der Niederländer Andreas Vonder entwirft die aktuelle Ausgangssituation als klassische therapeutische Familienaufstellung. Sabine (Bettina Marrugg) floh vor den Nazis nach Finnland, bekam mit dem Bauern Jukka die Tochter Lena (Justine Hauer / Laila Nielson), heiratete nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Günther und gebar ihm in den 1950er Jahren die Söhne Rolf und Michael. Die mögen sich gegenseitig ebenso wenig wie ihren Vater, was irgendwas mit ihrer älteren Stiefschwester zu tun hat.
Lothar Kittstein dröselt Rolfs Ahnungen auf und lässt ihn vierfach auftreten: jung (David Fischer und Manuel Klein), alt (Harald Redmer und Severin von Hoensbroech). Seltsame Geräusche waren aus Lenas Zimmer zu hören, wenn Papa Günther seine Stieftochter über den Verlust ihrer finnischen Heimat hinwegtrös­tete. Der Lette Ivo Brandis stellt im engen Sofaimperium die Nöte, Brutalitäten und Verletzungen des fünffach gespiegelten Mannes (neben den bereits genannten noch Andreas Meidinger) heraus, der Lena begehrte und ihr mehr Liebe schenkte, als sie wollte. Sie hat ihren Stiefvater umgebracht, bevor sie dessen Kind Nina zur Welt brachte. Im Federkäfig wispert sie davon, dass Mama nichts wissen durfte von Papas Zärtlichkeiten.
Im letzen Akt, geschrieben von dem Dänen Jens-Martin Eriksen, ist Lena alt und dement. Sie will ihrer Tochter Nina nicht begegnen, sondern nur noch spielen mit Bruchstücken des Lebens. Diese hat Regisseur Frank Heuel mit je unterschiedlichen Ästhetiken großartig zusammengefügt zu einem Stück, das in einer offenen Form dunkle Geheimnisse der bürgerlichen Gesellschaft offenbart. Sachlich unspektaktulär, aber dramatisch auf einem Niveau, das nicht nur unter die Haut geht, sondern derzeit zum Besten der freien Szene in NRW gehört.

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Spieldauer ca. 2 Stunden, eine Pause.
Die nächsten Termine: 9.-12.11.11



Donnerstag, 16.02.2012

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