La finta giardiniera - kultur 81 - Dezember 2011

La finta giardiniera von Wolfgang A. Mozart in der Oper: Goldenes Liebeslabyrinth

Schon beim Zuschauen wird einem fast schwindlig. Höhenangst darf keiner der Sänger haben, die über steile Sprossen ständig die Wände hochklettern, aberwitzig über Abgründe kraxeln oder sich in engen Kabinetten unter grotesken Verrenkungen fast auf die Füße treten. Wenn sie nicht gerade zum richtig falschen Moment zur Tür hereinschneien. Der Regisseur Philipp Himmelmann präsentiert in seiner Inszenierung von Mozarts 1775 zum Münchner Fasching uraufgeführter erster voll ausgereifter Musiktheaterkomödie ein spielerisches Glanzstück: Rokoko-Boulevard mit sportlicher Energie und musikalischem Feinschliff. Himmelmann hat das heitere Drama des 18-jährigen Mozart hochintelligent gestrafft und psychologisch pointiert. Die sieben Personen des heiteren Spiels sind mehr oder minder verliebt – durchweg überkreuz in das falsche Objekt. Sie sind Irrläufer ihrer hochtourigen Gefühle, steigen sich gegenseitig nach und täuschen sich in schönster Eintracht.
Bühnenbildner Hermann Feuchter hat dafür ein in die Senkrechte gekipptes Labyrinth erfunden, in dem alle halsbrecherisch herumturnen. Außer ihren Gelüsten zu frönen haben sie anscheinend wenig zu tun in ihrem goldenen Käfig, in dem die schimmernde Farbe schon leichte Patina angesetzt hat.
Im zentralen Zimmer hängt wie in einem Schrein vor herzblutrotem Samt wie ein kostbares Ausstellungsstück ein Dolch. Mit diesem Mordinstrument hat nämlich die verrückte Geschichte angefangen. Glücklicherweise hat die Marchesa Violante Onesti den Eifersuchtsanschlag des Grafen Belfiore überlebt und sich auf der Suche nach dem immer noch heiß Geliebten als Gärtnerin Sandrina bei dem Podestà von Lagonero verdingt. Was nur mäßig plausibel ist, aber als Rekonvaleszenz-Maßnahme in der freien Natur immerhin Charme hat. Nur allzu begreiflich ist, dass der brave Podestà (als tapferes Familienoberhaupt: der spielerisch und sängerisch ungemein agile Tenor Mark Rosenthal) gleich ein Auge auf seine hübsche Angestellte geworfen hat. Anna Siminskas strahlender Sopran verleiht der reizenden Sandrina emotionalen Tiefgang; ihre elegante Erscheinung lässt allerdings kaum einen Zweifel daran, dass sie gesellschaftlich in einer anderen Klasse spielt als ihr unbeholfener Verehrer.
Den möchte sowieso das entzückende Kammermädchen Serpetta (die kleine Schlange ist zumindest echt in der verwirrenden Liebesmaskerade) zwecks lukrativem Aufstieg angeln und macht Sandrinas angeb­lichen Cousin Nardo zur Schnecke. Wobei der Sopranistin Ingrid Frøseth die kecken Koloraturen so geläufig und jugendfrisch durch die Gurgel laufen, dass Nardo (in Wirklichkeit Gräfin Violantes treuer Diener Roberto) fast das Gleichgewicht verliert. Der feine, ausdrucksvolle Bariton von Giorgos Kanaris ist freilich allen Schlingen gewachsen. Nardos unermüdliches Werben um Serpetta wird Erfolg haben, wenn das Mädel endlich begreift, dass sein Griff nach dem Vermögen des Podestà daneben ging.
Reichlich unglücklich verläuft auch das tief empfundene Liebeswerben des Don Ramiro, dem die Mezzospranistin Susanne Blattert ihre wunderbar differenzierte Stimme verleiht. Dem sensiblen Kavalier hat die kapriziöse Nichte des Podestà nämlich den Laufpass gegeben zuguns­ten des attraktiven Grafen Belfiore. Die schöne Arminda (brillant: die Sopranistin Julia Kamenik) soll und will diesen eitlen Typen ehelichen, der im schweinchenrosa Anzug (elegante Rokoko-Kostüme: Gesine Völlm) wie eine Karikatur aller Opernrampensäue aussieht. Mirko Roschkowski ist mit prachtvollem Tenor der Star der wahnwitzigen Geschichte und spielt alle Klischees des virilen Gesangshelden mit vollem Körpereinsatz aus.
Arminda ist folglich Feuer und Flamme für ihren neuen Bräutigam, der leider seiner tot geglaubten Verflossenen über den Weg läuft. Sandrina lässt ihn ordentlich schmoren vor der Preisgabe ihrer Identität. Oder ist das eine Finte der mitleidigen Gärtnerin, die den Mörder vor der gerechten Strafe retten will? Was bei dem treulosen Schürzenjäger mit Hang zu gewalttätigen Lösungen unbequemer Verhältnisse durchaus zur finalen Ausschaltung einer Konkurrentin führen könnte? Jedenfalls ist die Gärtnerin Sandrina plötzlich im dunklen Wald verschollen. Bei der aufgeregten Suchaktion vergreifen sich alle, was zu einem erotischen Durcheinander mit grotesken Konstellationen führt, bei dem die Masken fallen. Und dann stehen sie alle da wie am Anfang, rangeln um die besten Plätze im goldenen Kabinett und würden sich am liebsten in die Tiefe schubsen. Das Resultat sind drei Paare und ein ernüchterter Herr, der auf eine neue Gärtnerin aus Liebe wartet.
Jede Arie ist in dieser großartigen Inszenierung mit einer genialen Figurengestaltung bis in die Fingerspitzen durchchoreografiert. Jeder Schritt und jede Geste sind kalkuliert, alles folgt präzis der Musik, die der aus Estland stammende Dirigent Hendrik Vestmann am Pult des ungemein inspiriert arbeitenden Beethoven Orchesters erklingen lässt. Ein in jedem Moment überzeugender dynamischer Mozartklang mit solistischen Glanzlichtern, der geistreich kommentiert, welchen Unsinn die Gefühlsnarren in ihrem Liebeslabyrinth anstellen.
Mozarts selten gespielte frühe Oper wird in dieser Aufführung zu einem zauberhaft heiteren musikalischen Wunderwerk. Sehr künstlich und verspielt, aber mit einem unverschämten Esprit. Der Premierenjubel für die Produktion, die das Zeug zum Saisonrenner hat, wollte kaum enden. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 2½ Stunden inkl. einer Pause.
Im Programm bis 8.06.2012
Die nächsten Termine:
2.12.11 // 22.12.11 // 20.01.12// 11.02.12 // 15.02.12

Donnerstag, 16.02.2012

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