Der Wildschütz oder Ein unmoralisches Angebot - kultur 77 - Juni 2011

Jagdszenen auf Schloss Eberbach: Der Wildschütz oder Ein unmoralisches Angebot in der Oper

Jagdszenen auf Schloss Eberbach
Der Wildschütz oder Ein unmoralisches Angebot
in der Oper

Der Dichter August von Kotzebue hat Krähwinkel nicht erfunden, aber bekannt gemacht. Kotzebues Drama Der Rehbock oder Die schuldlos Schuldbewussten lieferte die Vorlage zu Albert Lortzings 1842 uraufgeführter Oper Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur. Im Krähwinkel des Jahres 1842 siedelt Regisseur Dietrich Hilsdorf (Bonner Co-Regie der Koproduktion mit dem Theater Chemnitz: Ralf Budde) seine „Wildschütz“-Inszenierung an, die er mit einem nahe liegenden bekannten Filmtitel versehen hat, was ansonsten aber keine Rolle spielt. Den Staub des biedermeierlich Harmlosen hat er von der lange Zeit als allzu leichtgewichtig belächelten deutschen Spieloper weggepustet. Er nimmt die historische Situation des Vormärz ernst und zeigt bissig satirisch sowohl den mit sich selbst beschäftigten heruntergekommenen Adel als auch das spießige Kleinbürgertum. Lortzing war schließlich ein politischer Kopf, der 1848 in seiner Oper Regina zum ersten Mal einen Arbeiteraufstand auf die Bühne brachte.
Der alte Dorfschulmeister Baculus heiratet das von ihm aufgezogene Waisenmädchen Gretchen. Eine lieblose Versorgungs-Ehe, bei der die mittellose junge Frau (anrührend verkörpert und gesungen von der Sopranistin Kathrin Leidig) nur noch eins will: Unter die sichere Haube kommen, um nicht als arme Jungfer zu enden. Erotisch läuft mit dem braven ABC-Meister (der stimmlich und darstellerisch großartige Bass Renatus Mészár) sowieso nichts. Leider wird der Pädagoge auch noch seinen Job los, nachdem er beim Hochzeitsbraten sparen wollte und sich beim Wildern im gräflichen Park erwischen ließ. Die Ouvertüre mit dem berühmten Flintenschuss lässt die Inszenierung kurzerhand weg, um gleich mit Robin Engelen am Pult des Beethovenorchesters musikalisch in die Vollen zu gehen beim Hochzeitsfest im Klassenraum, den Dieter Richter liebevoll mit allerhand Unterrichtsmaterial ausgestattet hat. Für sein hinreißendes Bühnenbild zum zweiten Akt auf dem Schloss mit üppigen Kandelabern und einem tempelartigen Portalvorbau, der der Gräfin von Eberbach für ihre Rezitationen antiker Tragödien dient, gab es bei der Premiere einen Sonderapplaus. Die variable Bühne spielt perfekt mit bei allen weiteren Illusionen und Verdrehungen. Ganz am Schluss tauchen Studenten mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen auf, während Flugblätter mit Georg Büchners Pamphletsätzen („Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ etc.) in den Zuschauerraum flattern. Der Wind der demokratischen Revolution von 1848 (Lortzings Freund Robert Blum wurde im selben Jahr in Wien standrechtlich erschossen) weht ansonsten aber nur sanft hintergründig durch das launige Musiktheater, in dem Spielwitz und groteske Enttäuschungen die Oberhand behalten.
Wer warum in welcher männlich-weiblichen Verkleidung auftaucht, weiß in guter Komödientradition sowieso nur noch der amüsierte Zuschauer und ahnt, dass alle lustigen Verbrüderungen und Verschwes­terungen mit leicht frivolem biologischem Verwandtschaftspotenzial ein munteres Gesellschaftsspiel der gelangweilten Herrschaften sind. Die frisch verwitwete Baronin Freimann (wunderbar kokett: Julia Kamenik) möchte den ihr brüderlich zugedachten neuen Ehekandidaten heimlich testen und gibt sich als Student aus. Der ‚junge Mann’ kommt durchaus eigennützig dem armen Baculus zu Hilfe und will beim Grafen als Gretchen für dessen Bräutigam ein gutes Wort einlegen. Das angebliche ‚Mädchen vom Lande’ gefällt nicht nur dem Grafen von Eberbach (als eleganter Schwerenöter: Giorgos Kanaris) ausnehmend gut, sondern auch dem verwitweten Baron Kronthal (mit viel tenoralem Schmelz: Mirko Roschkowski), der sich unerkannt beim Grafen als Stallmeister verdingt hat und natürlich nicht ahnt, dass ‚Gretchen’ tatsächlich seine standesgemäße Zukünftige ist. Dass er zudem der Gräfin (als Dame von Welt mit erlesenem Geschmack und kostbar schöner Stimme: Anjara I. Bartz) den Hof macht, ist eine entzückende Pikanterie.
Das wirkliche Gretchen ist den feschen ‚Studenten’ nicht abgeneigt. Baculus würde seine Angetraute für die berühmten 5.000 Taler glatt jedem Grafen oder Baron nicht nur für eine Nacht, sondern auf ewig überlassen. Die verkaufte Braut hätte nichts dagegen, muss sich aber am Schluss mit ihrem geringen Marktwert und einer unglücklichen Zukunft an der Seite des alten Trottels Baculus abfinden. Dass der völlig unschuldig ist und seinen Esel für einen kapitalen Bock hielt, gehört zu den hübschen Komödienpointen. Die „Stimme der Natur“ spricht halt die Wahrheit, was schließlich auch die hohen Herrschaften glauben müssen und deshalb nach diversen Bäumchenwechseln leicht verstört und vollkommen unschuldig in den richtigen Konstellationen landen.
Seine fabelhafte musikalische Gestaltungskunst beweist Lortzing in den Ensembles wie dem bekannten „Billard-Quintett“, in denen ständig das durchscheint, was alle verschweigen wollen. Zu dem sängerisch und schauspielerisch in jedem Moment (auch in den vielen Sprechszenen!) überzeugenden Bonner Solisten-Ensemble gehören auch die Chorsolistinnen Ulrike Gmeiner, Christina Kallergis und Vardeni Davidian als komisch ‚reizende’ gräfliche Favoritinnen und als Gast die junge Charlotte Quadt (Nanette). Bis in feinste Typen-Details hinein perfekt inszeniert sind der Chor unter der Leitung von Sibylle Wagner und Ekaterina Klewitz’ Kinderchor. Neben einer ganzen Riege von Statisten spielen auch noch zwei persische Windhunde und ein falscher Hase mit, was des Guten doch etwas reichlich ist.
Opulent sind die Kostüme von Renate Schmitzer.
Die vom Publikum begeistert gefeierte Aufführung ist ein exzellentes Argument für den Klassenerhalt der Bonner Oper. Als Koproduzent eingestiegen ist inzwischen die Wiener Volksoper, wohin die ohne jeden Zweifel gelungene Inszenierung weiterreist. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 Std., eine Pause
Im Programm bis: 15.07.11

Donnerstag, 19.01.2012

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