Die Frau, die gegen Türen rannte - kultur 91 - Dezember 2012

"Die Frau, die gegen Türen rannte" von Roddy Doyle im Theater Die Pathologie^: Überlebenskampf

Die grauhaarige Frau in Jeans und Turnschuhen hat dem Polizisten erst mal Tee gemacht. Der arme Kerl hatte schließlich keine gute Nachricht: Carlo wurde erschossen, nachdem er eine Frau umgebracht hatte. Zumindest kein Sexualdelikt, was Paula deutlich erleichtert. Carlos Gesicht war auf dem Polizeifoto nicht gut zu erkennen, aber immerhin die Socken. Die hat Paula schließlich stets gewaschen, bis sie ihn nach 17-jähriger Ehe rausschmiss. Die blauen Flecken, die er ihr im Suff schlug, erklärte sie immer damit, dass sie gegen Türen gerannt wäre. Bei Schnitt- und Brandwunden war das in den Kliniken schwierig, aber die Putzfrau Paula aus Dublin kann alles erklären und hat ein großes Herz. Das schüttet sie aus in Maren Pfeiffers sensibler Inszenierung des Monodramas Die Frau, die gegen Türen rannte von dem irischen Autor Roddy Doyle.
Karin Kroemer spielt eine selbstbewusste Paula, springt von den Glücksmomenten ihres bescheidenen Lebens zu den brutalen Demütigungen, erzählt strahlend von ihrer großen Liebe, stolz von den vier Kindern und ohne Selbstmitleid von ihrer prekären Gegenwart. „Ich bin Alkoholikerin“ gesteht Paula freimütig. Sie berichtet nüchtern davon, wie sie den Schlüssel zum Schuppen mit den Flaschen versteckt und dann verzweifelt sucht. Wie sie ihren Jüngsten vorzeitig mit dem Klassiker „Bye bye Blues“ selig in den Schlaf singt, um sich dann einen Schluck zu gönnen, der ihre Sucht auf einen erträglichen Pegelstand bringt. Und wie sie kämpft, um ihre Würde zu erhalten. Sie war die Dümms­te in der Schule, glich ihre geistigen Defizite durch Sex mit den Hinterbänklern aus und ist doch merkwürdig lebensklug. Manchmal ist sie mit ihrer Lebensbeichte wahnsinnig komisch, manchmal ein verzweifeltes Häufchen Elend. Weibliche Emanzipation kommt in ihrer Underdog-Weltsicht ebenso wenig vor wie Empörung gegen die Verhältnisse. Alles ist einfach so passiert, und sie ist irgendwie zufrieden damit. „Stand by your Man“ von Tammy Wynette war ihre Devise, bis sie zur Bratpfanne griff, weil ihr Mann mit der 18-jährigen Tochter liebäugelte.
Paulas sprunghaftes Palaver ist nicht ganz stubenrein (auf Englisch würde es warnend heißen: „the performance contains explicit language“), aber so erfrischend präzis wie die Regie, die jeden Küchenrealismus vermeidet und die Figur mit einem raffinierten theatralen Rhythmus psychologisch aus sich selbst entwickelt. Bis Paula tapfer eine Tür öffnet, die wahrscheinlich nicht mehr zuschlägt. Redlich verdient hat sie’s in der „Pathologie“ ebenso wie den überzeugten Applaus für ein Solo aus dem real existierenden Dickicht der Vorstädte. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 Stunde, keine Pause

Donnerstag, 14.02.2013

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