Zucker. Kein Musical - kultur 90 - November 2012

Zucker. Kein Musical von Gregor Schwellenbach im Theater im Ballsaal: Süßstoff-Revue

Wer eine Ernährungsberatung sucht, liegt bei Zucker, der neuen Produktion des Fringe Ensembles im Theater im Ballsaal, ebenso falsch wie jemand, der musikalischen Süßstoff erwartet. „Kein Musical“ hat der regelmäßig für das Fringe Ensemble und das Theater Bonn (live zu erleben z.B. bei der kürzlich wiederaufgenommenen Werkstattproduktion Tief in einem dunklen Wald) arbeitende Komponist und Musiker Gregor Schwellenbach seine Revue genannt. Bei der End-Regie hat Fringe-Chef Frank Heuel noch mal Hand angelegt, das Produkt aber künstlerisch eher als Bonbon auf den Spielplan gesetzt.
Es beginnt mit eher minimalistischen Klängen, bis Bettina Marugg endlich ihre Stimme erhebt und saccharinselig eine Arie singt auf das süße Produkt aus Rohr oder Rüben. Dass man aus diesen Feldfrüchten Zucker gewinnen kann, gehört zu den weltbewegenden Entde­ckungen des 18.Jahrhunderts. Andreas Meidinger macht aus den his­torischen Rüben-Experimenten – „gefroren, geschält, geköpft“ – ein mordslustiges Spiel mit süßsaurem Beigeschmack. Manuel Klein zelebriert mit Rokoko-Rüschenmanschetten (Bühne und witzige Kostüme: Annika Ley) Daten und Fakten in aberwitzigem Kontrast zum musikalischen Sirup. Über die Sache mit den Enzymen erfährt man eine Menge, selbst die chemische Formel für Glukose klingt gut, wenn sie auf fünf Heimorgeln intoniert wird. Verführerisch besingt Justine Hauer die Wirkungen des Genussmittels.
Zu einem dramatischen Ereignis wird Heinrich Heines böse Ballade vom Sklavenschiff. Tollkühn ist die Ode an die „wundervolle Runkelrübe“, die der Sklaverei in den Zu­ckerrohr-Plantagen ein Ende macht und Frieden schafft. Über heutige Formen der Ausbeutung bei der Zuckerherstellung berichtet ein Text aus Brasilien, dem weltgrößten Zuckerproduzenten. Zucker für den Einzelhandel proklamiert der Marketingfachmann „Sven Knorr aus Tuschnitz“. Als „Motor des Lebens“ wird das Energie spendende Zeug beworben, was alle vier gelegentlich zappeln lässt wie überzu­ckert.
Immerhin gehören Rohr- und Rübenzucker zu den nachwachsenden Rohstoffen. Zucker füllt die Kassen, macht dick und glücklich. „Überall ist heute Zucker drin“, warnt das mit diversen Instrumenten bewaffnete musikalische Quartett. Wir haben’s zwar geahnt, werden aber wohl „Sklaven der Verführung“ bleiben. Schließlich haben wir’s schon mit der süßen Muttermilch gelernt. Auf der Bühne wird’s nicht zum versalzten Lehrstück, sondern bleibt eine karamell-zähe Nummernrevue, deren Würze vor allem im komischen Widerspruch zwischen den Texten, der Musik und den theatralen Aktionen liegt. Man kann sich das wie Dextropur auf der Zunge zergehen lassen, signalisierte der animierte Beifall bei der Premiere im ausverkauften Ballsaal. E.E.-K.

Spieldauer ca. 80 Minuten, keine Pause

Dienstag, 12.02.2013

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 17.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn