Der Sandmann - kultur 90 - November 2012

Der Sandmann unheimlich frei nach E.T.A. Hoffmann im Theater Marabu: Clownerie mit Klavier und Puppen

Ein Pianist (Ralph Püttmann) im Frack versucht, Hoffmanns gruselige Geschichte vom Sandmann melodramatisch zu präsentieren, während unversehens zwei komische Figuren seinem blauen Klavier entsteigen. Zwischen Pathétique und Apassionata ziehen sie einfach eine Plastikfolie über Tasten und Spieler und amüsieren sich köstlich über alle hochgestochenen Phrasen. Tina Jücker und Claus Overkamp spielen zwei kindlich naive Clowns, die hinterhältig den Schrecken Lügen strafen, aber hineingezogen werden in den grotesken Albtraum.
„Der Sandmann kommt auf leisen Sohlen“, droht der Mann am Klavier. Von einem harmlosen Sandmännchen handelt das neue Stück des Theaters Marabu nicht, „unheimlich frei“ inszeniert nach E.T.A. Hoffmanns romantischer Erzählung. Es geht um die Angst vor seltsamen Erscheinungen und den spielerischen Umgang mit den eigenen Fan­tasien. Die Marabus haben dafür Katya Averkova und Yauheni Korniag, zwei junge belarussische Regietalente, zum ersten Mal nach Deutschland geholt. Im Rahmen der Städtepartnerschaft Bonn-Minsk war das Junge Ensemble Marabu bereits mit zwei seiner Arbeiten zu Gast in Weißrussland. Dabei entstand die Idee, in Bonn mit den osteuropäischen Partnern und deren eigenwilliger ästhetischer Handschrift eine Produktion zu entwickeln.
Leise und unerbittlich rieselt der Sand vom Bühnenhimmel auf die mit feinem hellem Sand bedeckte Spielfläche (Bühne: Céline Leuchter). Hinten lauert ein Schrank, der Geheimnisse verbirgt und auch zum Verstecken taugt, wenn die Furcht überhand nimmt. Den jungen Nathanael graust es vor dem Stundenglas-Händler Coppelius, der regelmäßig abends bei seinem Vater auftaucht und gefährliche Experimente unternimmt. Dieser Sandmann streut den Kindern nicht nur Sand in die Augen, um sie in süße Träume zu wiegen. Er stiehlt ihnen die Augen und treibt damit sein nächtliches Unwesen.
Buchstäblich ein fetter, alter Sack ist der strenge Papa, der unter reichlichem Theaterqualm im Schrank verglüht. Ein putzig ineinander verknotetes Sandsackbündel sind die kleinen Geschwister, die auf dem versandeten bürgerlichen Wohnküchentisch liebevoll auseinander gefaltet werden. Jücker und Overkamp sind mal fröhlich freche Kinder, die sich lustvoll mit Schäufelchen voll Sand bewerfen, mal gemeine kleine Monster, die den Puppen die Email-Augen ausreißen und im Sand vergraben. Sie wehren sich tapfer gegen den bösen Blick des unsichtbaren Zauberers Coppelius und fliehen schließlich doch vor dem bloßen Schatten eines Bäumchens.
Kinder haben Vergnügen an der skurrilen Sandkasten-Fantasie und den prallen Jutesackfiguren, die sich als leere Gespenster entpuppen. Erwachsene können eher das pfiffige Spiel mit verstreuten Motiven genießen und die Sanduhr mithören, die über einer kürzlich wieder per Wahlfarce etablierten Diktatur hängt. In Belarus würde die Inszenierung politisch interpretiert und garantiert verboten, gesteht das Regie-Duo. Hier ist es ein unverschämt heiterer Aufstand gegen die unüberwindliche Lebensangst und wurde bei der ausverkauften Premiere entsprechend mit Beifall überhäuft. E.E.-K.

Spieldauer ca. 60 Minuten, keine Pause

Geeignet für aufgeweckte Zuschauer
ab 8 Jahren.

Dienstag, 12.02.2013

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