Pünktchen und Anton - kultur 71 - Dezember 2010

Die dicke Berta und zwei tolle Freunde: Pünktchen und Anton in den Kammerspielen - kultur 71 - Dezember 2010

Noten an den Hosenbeinen trägt sogar der Akkordeonspieler Alexander Pankow (alternierend mit Olga Belyaeva), der sich pfiffig mit Tonspuren aus dem alten Berlin ins Geschehen einmischt und die Idylle einer wahren Kinderfreundschaft ebenso perfekt macht wie die fantasievollen Kostüme von Sigrid Trebing und das witzige Bühnenbild von Annika Ley. Erwachsene können ganz schön blöd sein. Und Kinder kapieren die Welt manchmal besser. Davon erzählt Erich Kästner in seinen Romanen wie Emil und die Detektive (derzeit auf dem Spielplan des Jungen Theaters Bonn) oder Pünktchen und Anton, in denen er zum ersten Mal in der deutschen Kinderliteratur gewitzte, selbstbewusste Großstadtkinder auftreten lässt. Regisseur Frank Heuel, der in der vergangenen Spielzeit mit Zwei Welten für Dis­kussionsstoff sorgte, hat Kästners Pünktchen und Anton in den Kammerspielen in seiner eigenen Bühnenfassung ungemein liebevoll mit wunderbaren Effekten inszeniert. Bilderbuchbunt und zauberhaft heiter mit federleichter Poesie. Eine naive Kinderfreundschaft überwindet alle sozialen Schranken, wenn die Großen so komisch beschränkt sind wie reiche Eltern oder süße kleine Stoffhunde namens Piefke, die für alle Lebenslagen ein „Wau“ in allen Belltönen parat haben.
Pünktchen heißt eigentlich Luise Pogge, hat ein helles Köpfchen und bringt gern was auf den Punkt. Leider hat ihr Papa wenig Zeit, weil er als Direktor einer höchst bedeutenden Spazierstockfabrik ständig Geld verdienen muss. Ihre Mama hat noch weniger Zeit, weil sie das ganze Geld beim Shopping wieder ausgeben muss und zwischen Modeläden, Opernbesuchen und Empfängen regelmäßig ihre Migräne nimmt.
In Pogges schnieker Villa öffnen sich buchstäblich verrückte Türen wie bei einem Adventskalender, wobei Pünktchens Stofftierzoo für einen ganzen Kindergarten reichte. In die ärmliche Mietwohnung von Anton Gast und seiner allein erziehenden Mutter muss man gefährlich klettern, und die enge Küche mit Herd, Bügelbrett und Nasszelle wird komplett aus dem Schnürboden gezogen. Bei Pogges schwebt der reich gedeckte Tisch mit den putzig angepappten Gläsern und Tellern direkt aus dem Theaterhimmel.
Ein echtes Geschoss ist Günter Alt als dicke Köchin Berta, entschieden gegen jeden Schlankheitswahn und mit ihrer Bratpfanne bestens bewehrt gegen dunkles Gelichter. Alt ist der skurrile Star und das unbeirrbare Herz der Aufführung. Jedes Herz bezaubert auch Philine Bührer als kindlich freches Pünktchen, das immer nur spielen will. Die arme Streichholzverkäuferin mimt sie so blendend, dass die Pfennige schnell prasseln. Antons strengem Lehrer liest sie auf der Schaukel die Leviten, bis der seinen blauen Brief zurückzieht. Sie ist mutig aus Laune, unverschämt munter aus Abenteuerlust und einfach goldig, wenn sie begreift, dass man Rühreier nicht aus kulinarischen, sondern aus finanziellen Gründen mit Mehl streckt. Konstantin Lindhorst als Anton Gast ist ein Prachtkerl von imponierendem Format, auch wenn er das bescheiden von sich weist. Wie er für seine kranke Mutter (Nina V. Vodop’yanova) sorgt, ist rührend. „Leberwurst und Spiegelei“ wäre was gegen den beißenden Hunger. „In Wackelpudding baden und in Himbeerquark ertrinken“, wäre echter Luxus im bodenlos an die Wand geklatschten Wohnklo der Familie Gast.
Wenn Anton jemand quer kommt wie sein gerissener Mitschüler Gottfried Klepperbein, kann er aber auch zuschlagen. Manchmal muss Haue einfach sein, obwohl auf der Bühne nie realistisch geprügelt wird. Hendrik Richter spielt den nichtsnutzigen Klepperbein (seine kalte Dusche ist ein irrer Theatergag) und den teuflischen Robert, der Pünktchens Kindermädchen Fräulein Andacht (Simin Soraya) beim Tango feurig um den Finger wickelt. Die frustrierte Schnapsdrossel Andacht zeichnet für Robert Pläne von der Pogge-Villa, worauf Anton sich einen Reim macht und gerade noch rechtzeitig Berta alarmiert.
Mit Zigarre und Melone mutiert Herr Direktor Pogge (famos: Stefan Preiss) schließlich zum besten Vater der Welt. Seine hysterische Gattin (Petra Weimer) kriegt die Kurve zur Mutterrolle und zum großen Happy-End-Auftritt am Ostseestrand. Konfliktfrei wie die ganze Inszenierung, die Michael Barfuß mit hinreißenden Songs garniert hat. Amüsant unwirklich, aber so traumhaft schön mit leiser Ironie kindlich verspielt, dass es schlicht Spaß macht. Ein Geniestreich, der die Auslastung des darbenden Bonner Schauspiels locker wieder auf über 90% treiben könnte. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellungen: 5.12./10.12./12.12./17.12./26.12./27.12./9.1.
Geeignet für Zuschauer ab 6 Jahren.

Montag, 21.03.2011

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 29.03.2024 10:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn