Kaspar - kultur 68 - Juli 2010

Brillante Sprechdressur: Kaspar in der Werkstatt

„Ich wollte die Wirkung des Beat an mir – und die war eine umstürzlerische – anderen mitteilen, indem ich mit Wörtern und Sätzen eine strukturell ähnliche Wirkung erzeugte; vor allem wollte ich also Theater machen“, schrieb der 24-jährige Peter Handke 1967 in seinem „Brief über das Theater“. Den Beat nimmt der junge Regisseur Alexander Riemenschneider (*1981) in seiner ersten Inszenierung am Theater Bonn sehr geschickt auf. Sein Kaspar ist hinreißende Sprechmusik (Bühnenmusik: Tobias Vethake) und äußerst vergnügliches Theater. Riemenschneider denkt die mehr als 40 Jahre seit der Erscheinung Kaspars auf der Bühne mit. Während Handke 1968 das Restriktive der Sprache und die gewaltsame gesellschaftliche Zurichtung durch Wörter und Sätze herausstellte, ist der heutige Kaspar einer verführerischen Vielfalt von Sprechangeboten ausgesetzt. Alles ist möglich, und Kaspar möchte dabei sein.
Mit der bekannten Geschichte des his­torischen Kaspar Hauser hat Handkes Sprechstück wenig zu tun. Als linguistisches Lehrstück und als sprachphilosophische Reflexion über das Verhältnis von Wörtern und Dingen hat es immer noch eine Menge zu sagen. Dass es um Theater geht, macht das schöne Bühnenbild von Rimma Starodubzeva mit witzigen Trompe-l’oeil-Effekten deutlich. Wirklich ist nur die Illusion. Hendrik Richter probiert Kaspars berühmten Auftrittssatz „Ich möchte ein solcher werden wie einmal ein anderer gewesen ist“ fragend aus, bis er ihm auseinander fällt. Er beginnt zu spielen mit dem Sprachmaterial und den Ich-Angeboten der „Einsager“. ­Anastasia Gubareva, Nina V. Vodop’yanova und Nicolai Plath sind ein penetrant fröhliches Trio, das Kaspar mit Regeln und Phrasen bombardiert, dass es eine Lust ist. Zumal die Inszenierung aus der riesigen Sentenzensammlung des Textes die aktuellen Banalitäten herausfiltert, die schön bös zum Lachen reizen: „Weg sparen heißt Kraft sparen“ z.B. oder „Jeder der nichts besitzt, ersetzt den Besitz durch Arbeit“.
Kaspars Zivilisierung erscheint erfolgreich. Wie ein TV-Star wird er vorgeführt. Sekt und Kasparkekse gibt’s fürs Publikum; wer will, darf sich mit Kaspar auf der Bühne fotografieren lassen. Alle lieben Kaspar, jubeln die drei Showmaster. Und Kaspar legt zu, erfindet immer komplexere Sätze, verrückte Metaphern und kühne Reime und scheint selbst zu staunen über die Leichtigkeit, mit der sich alles benennen und aussprechen lässt. Richter macht das mit einer stupenden Virtuosität, jagt jeden Unsinn durch die Mühlen der Syntax und wird zu einer perfekten Sprechmaschine. Die Einsager singen Hymnen auf die von ihm gefundenen Wörter, treiben ihn mit Lob und Tadel an und fordern immer mehr Geschwätz, bis Kas­par buchstäblich das Blut aus dem Mund rinnt. Aber selbst Handkes „Sprechfolterung“ wird zur Supershow. In Siegerpose behauptet Kaspar „Ich werde gewesen sein, weil ich bin. Ich bin der ich bin.“ Kaspar ist Herr der Sprache, doch das Gerede wird unheimlich und unterminiert allmählich seine Selbstgewissheit. Mit Tiermasken regredieren die Figuren in die animalische Selbstvergessenheit, bis sie aus der Windmaschine schwarze Papierschnipsel in den Raum pusten. „Warum fliegen da lauter so schwarze Würmer herum?“ – das sprachlose Dunkel kehrt zurück. „Ziegen und Affen“ sind Kaspars letzte Worte.
Das grimmige große Redespiel ist hier eine absurde Komödie mit Kaspar als modernem Jedermann der Populärkultur. Mit rasantem Tempo und hinterhältigem Witz gespielt von einem großartigen Ensemble. Herausragend ist Hendrik Richter, der Kaspars extrem anspruchsvollen Part perfekt meistert. Ein Glanzstück wie die ganze höchst unterhaltsame, blitzgescheite Inszenierung. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1½ Std., keine Pause
Im Programm bis: 6.07.10
Nächste Vorstellungen: 19.06./01./06.07.

Dienstag, 15.02.2011

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