Drei Schwestern - Ein Solo - kultur 73 - Februar 2011

SEHNSUCHT NACH DEM WAHREN LEBEN: Drei Schwestern - Ein Solo im Theater im Ballsaal

Die neue Produktion des Fringe Ensembles, inszeniert von dessen Leiter Frank Heuel ist ein Solo, aber kein Monolog. Fast alle Figuren aus Tschechows Stück tauchen auf in Simin Sorayas wunderbar differenzierter Darstellung. Im Pelzjäckchen auf einer Bank sitzend spricht sie die der Vergangenheit nachtrauernden Anfangssätze der ernsten Olga, schwärmt als junge Irina von der sinnstiftenden Zukunft der Arbeit und springt in die Rolle der kapriziösen Mascha. Das gegenwärtige Leben zieht vorbei an den drei Schwestern, die in einem russischen Provinznest vergeblich auf das Glück hoffen. Sie sehnen sich nach dem ‚wahren’ Leben, das es nur in ihrer Heimatstadt Moskau gibt. Dorthin möchten sie zurück, werden den Aufbruch jedoch nie schaffen.
Als Komödie wollte Anton Tschechow sein 1901 uraufgeführtes Drama Drei Schwestern verstanden wissen. Regisseur Frank Heuel nimmt das durchaus ernst, ohne die sensiblen Zwischentöne des kammermusikalisch komponierten Werkes (raffiniert begleitet von der anspielungsreichen Musikcollage von Gregor Schwellenbach) zu unterschlagen. Simin Soraya lässt keinen Zweifel daran, dass es Dialoge sind, die da zu einem Redefluss verschmelzen, in dem die drei Schwestern ohne Halt mitschwimmen. Im Hintergrund werden anfangs die Namen der vielen Personen eingeblendet, die sich nach und nach in einem Beziehungsgewirr überlagern.
Jeder der vier Akte in diesem Spiel von der ewigen Sehnsucht nach dem richtigen Leben hat seinen ganz eigenen Rhythmus und eine theatrale Spannung, die die Zufälligkeit der Ereignisse in Tschechows eigentlich ganz undramatischem Stück aus einem weiblichen Blickwinkel neu beleuchtet.
Die junge Simin Soraya macht daraus ein vielstimmiges Konzert widersprüchlicher Visionen davon, warum wir leben und leiden. Die Schauspielerin, 1982 in München als Tochter einer Deutschen und eines Iraners geboren, ist derzeit auch als Fräulein Andacht in Heuels Inszenierung von Pünktchen und Anton in den Kammerspielen zu sehen und gehört ab der nächsten Spielzeit zum festen Ensemble des Düsseldorfer Schauspiels. Sie tänzelt als Maschas ungeliebter Gatte Kulygin herum, spielt den eleganten Neuankömmling Werschinin und den braven Baron Tusenbach. Die Terrassenstufen, die im Bühnenbild von Eduardo Serù nur eine optische Illusion sind, steigt sie herab als kreischende Provinzschönheit Natascha, die Andrej, den einst hoffnungsvollen Bruder der drei Schwestern, geheiratet hat und die Familie tyrannisiert. Im schwarzen langen Kleid (Kostüme und Video: Annika Ley) turnt sie mit verzweifelten Verrenkungen herum bei Andrejs Lebensbeichte. Träge ist er geworden in der unstandesgemäßen Ehe, das Vermögen hat er verspielt. Grotesk witzig lässt sie den versoffenen alten Militärarzt Tschebutyrin von seiner fundamentalen Unwissenheit erzählen. Anrührend zelebriert sie Maschas Geständnis ihrer Liebe zu Werschinin, der am Ende mit seinem Offizierskorps abzieht, während Tusenbach einen Tag vor der Hochzeit mit Irina in einem unsinnigen Duell stirbt. Im Grunde sind alle Figuren des Stückes einsame Lebenssolisten, die verzweifelt komisch vom großen, richtigen Leben träumen. Sorayas exzellentes Solo zeigt das eindrucksvoll.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 70 Min., keine Pause
Im Programm bis: ????
Nächste Vorstellungen: 19./20./22./23./25./26.03.

Dienstag, 01.02.2011

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