Reisparteitag - kultur 73 - Februar 2011

REISPARTEITAG: Thomas Reis im Pantheon

Thomas Reis (*1963 in Freiburg) ist seit über 20 Jahren als scharfzüngiger Wortakrobat bekannt, seit 1992 auch mit Soloprogrammen. Seit Herbst 2008 erscheint an jedem letzten Wochenende eines Monats seine Kolumne Reis' Parteitag in der Frankfurter Rundschau. Für sein gleichnamiges neues Bühnensolo, mit dem er Ende September 2010 Premiere feierte, hat er, gewürzt mit viel Tagesaktuellem, ein Programm von unglaublicher Dichte geschaffen. Reis spricht scheinbar mühelos 80 Minuten lang am Stück (und nach der Pause geht es weiter), ohne Notizen, ohne Dialoge mit dem Publikum, ohne Videotrailer oder andere Erholungsmanöver: Text pur, konzentriert, spannend (Regie: Joe Knipp). Im Gegensatz zu seinen vorherigen Programmen Gibt's ein Leben über 40? (2003) und Machen Frauen wirklich glücklich? (2007), mit denen Reis parallel immer noch auftritt und die 500. bzw. 300. Vorstellung gegeben hat, steht diesmal nicht Privates im Vordergrund, sondern die Welt der Politik. Die Rahmenhandlung zeigt Reis als resignierten Pessimisten, der eine eigene Partei gründet: „Die Kartoffel ist tot, es lebe der Reis. Ich will die Welt retten aus Eitelkeit. Die Mitgliederzahl der Partei beschränkt sich auf mich.“ Doch eine Plauderstunde aus der Sicht dieses aufstrebenden Egozentrikers wäre für Thomas Reis viel zu langweilig. Er bietet unter dem Motto seines Protagonisten – „Ich will die Schuld nicht bei anderen suchen, sondern finden!“ – eine Beispielflut und stößt sich durch Apropos immer wieder vom Rahmen-Ich ab, um mit gutem Schauspiel- und Stimmenimitationstalent in eine neue Rolle zu schlüpfen. Von Mao bis Sarazzin, und immer wieder auch in die Perspektive des erstaunt-irritierten Zuschauers im Polittheater. Auch 4-Personen-Gespräche demonstriert Reis spielend.
Eine kleine Pointen-Auswahl:
- „Der scheint echt zu sein“. (Berlusconi betreffend)
- „Eine Rating-Agentur, das ist wie Organhandel von einem Spender ohne Ausweis, der noch lebt.“
- „Diese Regierung ist ein Who is Who des Antidiskriminierungsgesetzes“: z.B. Pofalla („dass es gelingt, so etwas sinnvoll einzusetzen...“) oder „Guido Westerwelle, ein Glühwürmchen, das als Berufswunsch Flutlicht angibt“.
Natürlich muss der Parteigründer mit allen Ämtern in Personalunion auch Visionär sein.
Dabei schrammt Reis die Grenzen des „Denkbaren“, die des politisch Korrekten sind ohnehin kein für ihn bedeutsamer Maßstab: „Soldaten sind doch ein nachhaltiger Rohstoff - kompostierbar!“ Und wie wäre es mit einer „Abwrack prämie für Kinder, die ihre Eltern entsorgen“? Nach dem ersten Schock lassen sich Sensibilität und unangenehme Wahrheiten zugleich wahrnehmen und Reis’ Weg, durch gewagte Visionen zu versuchen, Szenarien dieser Art nicht real werden zu lassen, ist nicht unsympathisch.
Auf jeden Fall gibt es den nachdenklichen Thomas Reis außerhalb aller Rollen: „Wissen Sie, was wirklich zynisch ist: lachende Bärchenwurst.“ Seine Wunschrolle als Weltverbesserer lässt er beiläufig einfließen: „Kabarett ist ein langer Weg, aber ein schöner.“ Das Leben sei nicht nur Urlaub vom Tod, sondern auch schön, man müsse nur ab und zu daran erinnern...
Am 20.05. ist Thomas Reis mit Machen Frauen wirklich glücklich? im Pantheon zu Gast; am 21.05. erneut mit Reisparteitag. J.S.

Dienstag, 01.02.2011

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