Das Ende des Regens - kultur 73 - Februar 2011

ERBSCHULD UND FISCHSUPPE: Das Ende des Regens in der Halle Beuel

Es ist eine komplizierte Familiengeschichte, die der australische Dramatiker und Drehbuchautor Andrew Bovell sehr lakonisch erzählt. Der über 80 Jahre gespannte Handlungsbogen mit seinen eher filmischen als dramatischen Rück- und Vorausblenden, merkwürdigen Wiederholungen und Ungleichzeitigkeiten, hat die Ausmaße einer antiken Tragödie, kommt aber dennoch ganz unpathetisch daher. 2039 fällt in Alice Springs ein Fisch vom Himmel, direkt vor die Füße des 50-jährigen Gabriel York, der gerade auf der Suche ist nach etwas Essbarem für das Wiedersehen mit seinem 2011 geborenen Sohn Andrew, den er seit mehr als 20 Jahren nicht gesehen hat. Andrew, der nicht zufällig den Namen des Autors trägt, hat angerufen und die Mauer des Schweigens durchbrochen, hinter der sich sein Vater und dessen Vorfahren versteckten. Fische sind selten geworden auf der von sintflutartigen Regenfällen heimgesuchten, von den Menschen zerstörten Erde. Aber es gibt plötzlich diesen Fisch (übrigens ein urchristliches Symbol), der Gabriel einen ganzen Jahreslohn kosten würde, und mit dem er seinen verlorenen Sohn festlich begrüßen kann.
Generalintendant Klaus Weise, der in der Spielzeit 2003/04 schon Bovells Psychokrimi Lantana in den Kammerspielen herausbrachte, inszeniert die deutschsprachige Erstaufführung des 2008 in Adelaide uraufgeführten und in London und New York erfolgreichen Stückes mit äußerst feinen Nahtstellen im narrativen Gewebe. Grau in Grau sind die Videos von Ausstatterin Dorothea Wimmer, die aneinander vorbeieilende Menschen mit Regenschirmen in einem geschlossenen Raum zeigen. Hinter den Projektionen öffnen sich fünf fast gleiche Zimmer, in denen jemand seinen Regenmantel aufhängt und Fischsuppe löffelt. Gleichzeitig, auch wenn dazwischen Generationen liegen. Ort und Zeit der einzelnen Szenen werden angesagt und eingeblendet; trotzdem ist es kein Problem, wenn man sich als Zuschauer gelegentlich verliert im diskontinuierlichen Geflecht der Handlungsfäden. Was in der Vergangenheit passierte, bleibt Gegenwart und reicht in die Zukunft.
Wunderbar poetisch lässt Bernd Braun als Gabriel York das aufscheinen in seinem großen Anfangsmonolog. Die Musik dazu macht in einem Autowrack am Bühnenrand live das neue Bonner Ensemblemitglied Birger Frehse, der am Ende als Hoffnungsträger Andrew seinen Vater besucht. Der hat für das Treffen seine bescheidene Wohnung geputzt, wie es andere vor ihm taten. Aber der Regen hört schließlich auf in diesem Moment, in dem menschliche Nähe wieder möglich erscheint.
Das kurze Leben von Gabriel Yorks Vater Gabriel Law endete 1988 auf einer Autofahrt über den Coorong. Nico Link spielt mit einer Mischung aus lässiger Selbstverlorenheit, Lebensangst und cooler Männlichkeit den Sohn des Engländers Henry Law, dessen Spuren sich auf dem Ayers Rock verloren, den die australischen Ureinwohner als heiligen Felsen „Uluru“ verehren. Auf der Suche nach seinem Erzeuger lernte er Gabrielle York kennen, mit
der ihn nicht nur der biblische Name verband. Anastasia Gubareva verkörpert eindrucksvoll die junge Betreiberin eines einsamen Motels. Ihre Eltern brachten sich um nach dem gewaltsamen Tod ihres kleinen Sohnes Glen, der im selben Jahr zur Welt kam wie Gabriel, von dem Gabrielle schwanger wird. Im Auto stellt sie ihm eine verhängnisvolle Frage, die ihr wenige Monate dauerndes Glück zerstört. Sie heiratet ihren Retter, den schlichten Farmer Joe Ryan, lebt in der Erinnerung an den geliebten Gabriel und wird dement.
Ralf Drexler als treuem Joe, der nie zum engeren Kreis der beiden tödlich verbundenen Familien gehörte, und Tatjana Pasztor als alter Gabrielle gönnt die Aufführung die emotional berührendsten Szenen im Kreislauf der Beziehungsängste. Angefangen hatte alles in London, als Elizabeth Law (Christine Schönfeld, zuletzt als Gast in den Kammerspielen zu erleben in Marina Carrs In Marmor) ihren geliebten Mann Henry nach mehreren glücklichen Ehejahren verstieß, nachdem seine Pädophilie offenkundig geworden war. Raphael Rubino spielt ungemein sensibel den Kinderschänder, der sich verzweifelt gegen seine Neigung wehrt, die ihn auf der Flucht nach Australien einholt.
Im selben Zimmer und im selben Kostüm begegnet die junge Elizabeth, die ihrem Sohn nie etwas über seinen Vater preisgab und dem Alkohol verfiel, der alten Elizabeth (Heide Simon), die dem Vegetarier Gabriel die damals noch billige Fischsuppe servierte, bevor er wegging auf den fernen Kontinent und dort seiner eigenen Familiengeschichte auf die
Spur kam. Doch es ist nie zu spät für einen neuen Anfang, wenn ein Fisch vom apokalyptisch verdüsterten Himmel fällt, und ein Sohn endlich seinen Vater kennenlernen will.
Die Inszenierung des komplexen Stückes, in dem sich die Motive wie in einem Krimi langsam zusammenfügen, ist eine großartige Ensemblearbeit und entschieden einen Besuch
wert. E.E.-K.


Aufführungsdauer: ca. 2 Std., keine Pause
Im Programm bis: 12.02.11
Nächste Vorstellungen:
26.01./29.01./8.02./12.02.

Dienstag, 01.02.2011

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