Nussknacker / Sinfonietta / A Little Extreme / Maria's Dream - kultur 73 - Februar 2011

TANZ-HIGHLIGHTS AUS PRAG: Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte - Sinfonietta / A Little Extreme / Marias’s Dream -

[b]Der Nussknacker – Eine Weihnachtsgeschichte[/b]
In drei seit langem ausverkauften Vorstellungen stimmten sich die Bonner Tanzfreunde auf Heiligabend ein. Einigen wurde dabei ganz nostalgisch zumute, denn in der Gastspielreihe „Highlights des Internationalen Tanzes“ hatte das Ballett des Nationaltheaters Prag die Nussknacker-Version von Youri Vámos an ihren Ursprungsort zurückgebracht.1988 wurde seine Choreographie des berühmten Tschaikowsky-Weihnachtsballetts im Bonner Opernhaus uraufgeführt und später von zahlreichen Compagnien im In- und Ausland übernommen. Seit 2004 gehört sie zum ständigen Repertoire des wichtigsten tschechischen
Tanzensembles.
Die fantasievolle Ausstattung von Michael Scott (natürlich nicht mehr das Original-Bühnenbild, das nach Aussagender Bonner Theaterleitung inzwischen in Slowenien landete) ist fester Bestandteil von Vámos’ Interpretation, die die beliebte romantische Geschichte, die auf E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mäusekönig beruht, anhand von Charles Dickens’ A Christmas Carol neu erzählt. Der böse alte Geldverleiher Scrooge (herrlich verschroben gespielt und getanzt von Radek Vrátil) hasst Weihnachten ebenso wie all die Menschen, die sich in einem tief verschneiten Londoner Vorort auf das Fest freuen.
Es geht dort munter zu, wenn die Gardisten mit roten Jacken und hohen Pelzmützen aufmarschieren und mit den fein herausgeputzten Damen ein Tänzchen wagen. Spielzeughändler Drosselmeyer präsentiert seine Puppen; die kleine Clara verliebt sich in den Nussknacker, den Scrooge wütend kaputt macht. Claras bei Scrooge angestellter Vater wird entlassen; von einem fetten Truthahn kann die Familie nur noch träumen. Die
turbulente Anfangsszene mit Big Ben im Hintergrund entfacht ein witziges pantomimisches und tänzerisches Feuerwerk in den von Scott für jeden aus dem riesigen Ensemble individuell entworfenen historischen Kostümen.
Dem Geizhals geht’s allerdings verteufelt an den Kragen, wenn die Opfer seiner Geldgier bedrohlich ihre Ketten schwingen. Glücklicherweise rettet ihn die schöne Weihnachtsfee vor den bösen Geistern des Kapitalismus, lässt sein Bett in den Bühnenhimmel fliegen und alle Albträume verschwinden. Er landet im glitzernden Kristallwald, wo ihn die heile Welt des klassischen Balletts verzaubert.
Vor einem riesigen Weihnachtsbaum beschenkt der träumende Scrooge die aus seinem Bett gepurzelten Kinder (zehn Schülerinnen des Bonner Ballettzentrums Vadim Bondar, die intensiv für den Auftritt mit den Profikollegen geprobt hatten) mit den berühmten spanischen, russischen, chinesischen, arabischen Divertissements und dem lustigen Harlekin-Tanz und lässt sie staunen bei den brillanten Soli und Duetten von Prinzessin Clara (Edita Raušerová) und ihrem Nussknackerprinzen (Karel Audy). Eisblumenwalzer und zarte Schneeflöckchen erwärmen in der taufrisch getanzten Geschichte das kalte Herz des einsamen Griesgrams. Er wird zum Menschenfreund und überlässt selig den Inhalt seines Tresors den Armen. Ein fabelhaft schönes Wunschtraum-Märchen, das viele Bonner Familien beglückte.

[b]Sinfonietta / A Little Extreme / Marias’s Dream[/b]
Andere Facetten seines Könnens zeigte das Ballett des Nationaltheaters Prag am letzten Abend seines Bonner Gastspiels.
Den Anfang der dreiteiligen Vorstellung machte Sinfonietta, eine 1978 in Charleston uraufgeführte Choreographie des Tschechen Jiri Kylián, dessen internationale Karriere mit diesem legendär gewordenen Werk zur Musik von Leoš Janácek begann. Dessen 1926 in Prag uraufgeführte Sinfonietta entstand als Hommage an die Streitkräfte seiner Heimat. Trompetenglanz und Paukenschläge bestimmen den ersten Satz, zu dem die Tänzer männlich kraftvoll in weiten Sprüngen über die Bühne fliegen. Vor einem wechselnd beleuchteten farbigen Landschaftshintergrund entfalten sie ein Fest der Freiheit und Lebensfreude. Zum weicheren Klang der Holzbläser und zum zärtlichen Gesang der Streicher mischen sich die Tänzerinnen ein. Sieben Paare zelebrieren klassische Duette und rasante Ensemble-Szenen, wobei sich ab und zu leise Melancholie in das hochfliegende Aufbruchspathos mischt. Die pure Schönheit der Bewegung dominiert freilich in dem 25-minütigen Stück. Stolz und Stärke bis zum Fanfarenjubel des Schluss-Satzes (die Musik kam vom Band) – die Kühnheit von Kyliáns frühem Meisterwerk ist immer noch mitreißend.

Kleine Zweifel an so viel robustem Optimismus meldet Petr Zuska an, seit sechs Jahren künstlerischer Direktor der 65 Mitglieder umfassenden Prager Compagnie. Seine 2006 mit dem Ballett der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf uraufgeführte tragikomische Choreographie [b]A Little Extreme[/b] vermischt HipHop, Rap und Ballett à Pointe.
Sechs mit Pistolen bewehrte Männer behaupten sich im Lebenskampf zwischen Sex and Crime, spielen ironisch mit den Klischees der urbanen Ego-Verwilderung und lassen sich einfangen von den esoterischen Klängen entspannungstechnischer Übungen. „Ihr seid ganz ruhig, eure Arme sind schwer, Wärme durchströmt euren Körper“ und Ähnliches befiehlt eine Frauenstimme, bis sie wieder lostoben und aus beleuchteten weißen Kuben einen Sockel bauen für einen roten Teddybär. Ein groteskes Idol, mit dem zwei verführerische Tänzerinnen sie locken und das Machogehabe ad absurdum führen. Von Schusswaffen wird am Ende Gebrauch gemacht in diesem mordsfrechen Spiel.

Auf den unverschämten Witz dieses kurzweiligen Blicks in die widersprüchliche Gegenwart folgte ein höchst poetischer in die Geschichte des Tanzes.
[b]Maria’s Dream [/b]
von Petr Zuska, uraufgeführt 2002 in Prag, ist eine skurrile Hommage an die italienische Primaballerina Marie Taglioni (1804 – 1884). Legendär wurde der Pas de Quatre zur Musik des Komponisten Cesare Pugni, in dem es dem Choreographen Charles Perrot gelang, 1845 in London die vier berühmtesten Spitzentänzerinnen seiner Zeit zu versammeln.
Die unvermeidlichen Eifersüchteleien der weiblichen Stars werden in Zuskas geistreicher Choreographie von vier Geschäftsmännern verkörpert, die auf einer Parkbank am „Schwanensee“ Pause von wichtigen Verhandlungen machen.
Tschaikowskys Ballettmythos, der mit brillanter Komik herbeizitiert wird, erlebte die Taglioni noch, Saint-Saëns’ 1907 in der Choreographie von Michail Fokine uraufgeführten
„Sterbenden Schwan“ nicht mehr. Aber im schwarzen Business-Outfit macht sie (getanzt von Nikola Márová) am Ende den Herren in weißen Schwanen-Tüllröcken ziemlich deutlich klar, wer zwischen eitlen Pirouetten und muskulösen Flatterflügeln das Sagen hat. Eine hinreißende Ballett-Parodie voller ironischem Respekt vor der Tradition.

Dienstag, 01.02.2011

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