Tausend Wünsche - eine Quelle - kultur 64 - März 2010

Freche Revue des Konsumismus: Tausend Wünsche - eine Quelle in der Werkstatt

Der Gebrauchswert des „Wunderquells“ (eine Art Zimmerspringbrunnen) war so begrenzt wie der von niedlichen Salzstangenhaltern oder skurrilen Automaskottchen, die beim Bremsen ihre Haare sträubten. Aber mit Quelle war man helle, was wenigstens ein anständiger Endreim ist und nicht nur eine platte Alliteration wie geiler Geiz. Und wenn man sich was wünschen durfte, bestellte man’s bei Quelle, wo es vom strammen Hüfthalter bis zum letzten Sofaschrei einfach alles gab, was man zumeist nicht begehrte, aber haben wollte, weil’s im Katalog stand. Dieses Kilo schwere Ding war die Bibel der Warenwelt und wird demnächst wahrscheinlich ein Antiquariatsrenner. Der Pfennig ist die Seele der Milliarde lautet der Untertitel der musikalischen Revue Tausend Wünsche – eine Quelle von Jens Kerbel (Regie) und Michael Barfuß (musikalische Leitung) in der Werkstatt. Klar: Der Pfennig hat sich aus dem aktiven Wortschatz verabschiedet, und Milliarden von Euros und Dollars haben sich unselig in Luft aufgelöst. Das größte Versandhaus Europas wurde nach 82 Jahren insolvent und damit Geschichte wie die wahren Wünsche von Generationen. Auf Tausenden von Seiten, die nie ein Literaturkritiker zur Kenntnis nahm, wurden lyrische Fan­tasien zur Ware, ganze Romane zur Wirklichkeit und Familiendramen in tragischer Echtzeit gespielt, wenn im Quelle-Paket die Bluse ankam, die auf dem Foto ganz anders aussah: Qualität zu günstigen Preisen mit Traumgarantie und Rückgaberecht bei Nichtgefallen.
Wünsche gibt es trotzdem immer wieder, und bei „Rum and Coca-Cola“ stand das Cabrio fast schon vor dem Quelle-Fertighaus in der Karibik zwischen Oberhausen und Fürth: „Ich bau mir ein Haus auf einer Insel“… Susanne Bredehöft (goldblond), Anke Zillich (weißblond) und Günter Alt (rotblond) singen die unverwüstlichen Schlager der guten alten Quelle-Zeit einfach hinreißend. Bredehöft im damenhaften, hellen Hosenanzug (Kostüme: Mathilde Grebot) ist das personifizierte dauerlächelnde Management. Zillich im eleganten kleinen Dunkelroten mit Brille könnte mit ihrem „Schüttel Dein’ Speck“ ganze Magazine von Korsetts aus der Fassung bringen. Alt ist ohnehin eine Nummer für sich und könnte zu „Ich hab dich bloß geliebt“ mit dem Katalog unterm Arm zum Amokläufer werden. Genial begleitet wird das gnadenlos komische Schauspieler/Sänger-Trio von Markus Schinkel in einem roten Anzug, der jeder Beschreibung spottet.
Dass die Quelle diskret auch tiefere Regionen des menschlichen Daseins versorgte (Videos: Lars Figge) müsste nicht ganz so breit illus­triert werden, tut aber dem liebevoll ironischen Blick ins bundesdeutsche Kleinbürgerleben keinen Abbruch. Die vom bayrischen Landesvater beschworenen Chancen der Abwicklung von mehreren tausend Arbeitsplätzen klingen im eingespielten O-Ton irgendwie nach „Sch…“, und was reimt sich schon auf Arcandor oder Primodo? Auf Otto zumindest Lotto. Was aber völlig egal ist angesichts dieses politisch völlig unkorrekten, bissig vergnüglichen kleinen Musicals. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1 Std., keine Pause

Donnerstag, 27.01.2011

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