Törless - kultur 60 - November 2009

Jugendliche Gewaltspiele: Törless nach R. Musil im Jungen Theater

Das feine Internat ist zum Puppenhaus verkleinert. In den winzigen Schlafsaal und das Klassenzimmer schauen die vier Protagonisten immer wieder mit der Videokamera hinein, beobachten sich gegenseitig mit diesem mechanischen Auge und projizieren die Bilder riesig vergrößert live auf eine seitlich im Hintergrund platzierte Leinwand. Ein überzeugender Kunstgriff, der gleichzeitig die Dimensionsverschiebungen zwischen Innen und Außen sinnfällig macht und die Ergebnisse eines destruktiven Spieltriebs nach dem Muster der You-Tube-Generation dokumentiert.
„Gegenstände und Menschen hatten etwas Gleichgültiges, Lebloses, Mechanisches an sich, als seien sie aus der Szene eines Puppentheaters genommen.“ So beschreibt Robert Musil in seinem 1906 erschienenen Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß die geistige Verfassung des sensiblen Schülers, der auf der Suche ist nach seiner Identität in einer noch zu erkundenden Welt. Im Jungen Theater Bonn hat Volker Maria Engel Musils beklemmende Pubertätsstudie mit dem jugendlichen Nachwuchs-Ensemble vielschichtig inszeniert. Die Bühne von Sandra Van Slooten ist mit allerhand Sportgeräten ausgestattet: einer dieser düsteren, leicht muffigen Turnsäle, in denen die hoffnungsvollen Söhne besserer Familien zu Beginn des 20.Jahrhunderts auf den Lebenskampf vorbereitet wurden. In ihren sportlich-lässigen Schuluniformen mit dem Wappen des Nobel-Erziehungs-Instituts selbst auf der Unterwäsche (Kostüme: Annemie Clevenbergh) sehen die vier Jungen durchaus heutig aus. Musils subtile Prosa wird gelegentlich gerappt, ein bisschen frech gerockt wird auch, aber die zeitlosen Dialoge überwiegen in der (un)heimlichen Reifeprüfung.
Der vierzehnjährige Jonathan Franz spielt sehr klar (an der sprachlichen Artikulation könnte man noch feilen) den feinsinnigen Törless mit seiner unbestimmten erotischen Sehnsucht und seiner widerwilligen Faszination für das Starke und das Schwache. Merlin Fagel (17) mit weißen Stiefeln ist der naiv-brutale Machtmensch Reiting, der erleben will, wie alle nach seiner verführerischen Pfeife tanzen oder vor seiner Pistole zu Kreuze kriechen. Patrick Morschhaeuser (16) spielt glänzend den blitzgescheiten Beineberg, der schamlos jede gegnerische Blöße benutzt, um zu untersuchen, was ihm selbst unter die Haut geht.
In dem kleinen Basini finden die drei ein williges Opfer. Der dunkelhäutige Nassirou Holik (15) spielt den mutwillig gequälten Underdog geradezu beängstigend genau. Er leidet unter den (homo)sexuellen Demütigungen und physischen Misshandlungen (in der Inszenierung dezent, aber verbal unbeschönigt gezeigt) und gibt sich trotz oder wegen aller Furcht seinen Folterern hin. Wir lieben, was uns tötet – soweit sind die Forschungen des verwirrten Törless schon gediehen, wenn er gegen die Wände des Internatsmikrokosmos und die pathetischen Männerphantasien anrennt und sich endlich in die wirkliche Welt verabschiedet. Franka van Werden gastiert als Törless’ zärtliche Mutter, Hure Božena und arg symbolisch herumgeisternder schwarzflügeliger, barfüßiger Engel – das ewig Weibliche halt.
Eine angesichts der Gewalt in Schulen sehr aktuelle Inszenierung mit poetischem Mehrwert. Zumal Musils „Törleß“ NRW-Abiturstoff ist und derzeit auf etlichen Spielplänen steht.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Nächste Vorstellungen:
Für Zuschauer ab 15 Jahren.

Dienstag, 09.02.2010

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