Dreier - kultur 60 - November 2009

Alle gegen alle – Dreier von J. Roselt im Euro Theater

„Die Schonzeit ist vorüber“, sagt der Staatsanwalt, der gerade sein Plädoyer gegen einen Amokläufer vorbereitet, der seine ganze Familie umgelegt hat. Angeblich um den Text noch mal von seinem besten Freund, einem Augenarzt, gegenlesen zu lassen, schaut er spät abends noch mal in dessen Wohnung vorbei. Wo dieser gerade – nach den Geräuschen hinter der Jalousie zu urteilen – ziemlich guten Sex mit der Gattin seines Freundes hatte. Was wie eine Boulevard-Bettkomödie beginnt, wird freilich schnell zu einer bitterbösen Farce. Das Bett ist zentraler Schauplatz des auf etlichen deutschen Bühnen erfolgreichen Stückes Dreier von c, das Stefan Krause jetzt im Euro Theater Central inszeniert hat. Der 1968 geborene Autor hat über die Ironie im Theater promoviert, für die Berliner Volksbühne u. a. Dostojewskis Erniedrigte und Beleidigte dramatisiert und ist seit 2008 Professor für Theorie und Praxis des Theaters in Hildesheim.
Draußen gurren und turteln die Tauben, deren rasante Vermehrung ebenso wie die der Ratten den Augenarzt anwidert und seine Faszination für den Amokläufer schürt. Munteres Taubenvergiften im Park ist jedoch nicht angesagt. Eher ein vieldeutiges Spiel mit hinterhältigen Wörtern und scharfen Pointen. Die drei Beleidigten sind selbstironisch cool und führen sich gegenseitig aufs Glatteis zwischen Lust und Lebensekel. Wenn sie die Wahrheit sagen, spielen sie Lügen. Wenn sie lügen, reden sie hinterhältig aneinander vorbei und lauern spöttisch auf den erniedrigenden Gesichtsverlust der anderen. Enddreißiger aus der gehobenen Mittelschicht mit Hang zu trockenem Weißwein und einem soliden Ironiepanzer.
Hanno Dinger spielt den lässig zynischen Liebhaber, beruflich auf Hellsicht eingestellt. Richard Hucke ist der unerbittliche Jurist und brillante Rhetoriker („Bitte keine Doppeldeutigkeiten!“). Was zu geistreichen Dialogen führt und unverschämt prickelnd wird, wenn das Corpus Delicti (bewaffnet mit einem Weinglas) offensichtlich unter dem Bett zuhört. Doris Lehner ist die schöne blonde Journalistin, deren Eheleben etwas heikel geworden ist. Weshalb sie wieder bei einem Sender arbeitet und für sexuelle Abenteuer aufgeschlossen ist. Ihre entwaffnende Ehrlichkeit im gemeinen Dreiecksspiel könnte freilich eine besonders verletzende Waffe sein. „Wenn die anderen für mich sind, bin ich’s auch“ – das gilt für alle drei, die darstellerisch glänzend und schön giftig alle Lustspielkonventionen ad absurdum führen. Alle gegen alle, heißt die Devise. Nur aus dem am nächsten Morgen geplanten quoten­trächtigen Interview mit dem armen, gesellschaftlich deprivierten Amokläufer wird wohl nichts. Die Sardellenpaste im Kühlschrank wirkt für Taube(n) und Sehende zuverlässig…
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1 Std., keine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellungen: 21./22.11.09

Dienstag, 09.02.2010

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