Tres/Pastorale - kultur 60 - November 2009

Pastoraler Auftakt: Tres/Pastorale - Gastspiel des Víctor Ullate Ballet im Opernhaus

Nach dem Erfolg der Gastspielserie in der vergangenen Spielzeit darf man gespannt sein, wie es dem Theater Bonn gelingen wird, die hohen Erwartungen erneut zu erfüllen. Der Auftakt der Spielzeit 2009/2010 kündigte sich durch ein thematisches Konzept an: Zum Beethovenfest Choreografien zu vier Sonaten und einer Sinfonie von Ludwig van Beethoven durch das Victor Ullate Ballet aus Madrid.
Der zweiteilige Ballettabend begann mit einer Choreografie unter dem Titel Tres („3“) von Eduardo Lao. Zur Orientierung: Lao ist ein Ziehsohn von Victor Ullate, der wiederum von Maurice Bejart gefördert wurde. Diese, zugegeben, vereinfachte Beschreibung sagt aber etwas über die Quellen des choregrafischen und tänzerischen Schaffens aus. Doch in Laos Ballett ist von einem epigonenhaften Fortführen wenig zu spüren. Seine „Sprache“ ist streng, die Grundmuster der Bewegungen entstammen einem klassischen Bewegungsvokabular (lediglich auf Sprünge verzichtet Lao vollständig). Das Bemerkenswerteste aber ist, wie sich Laos Choreografie an die Kompositionen Beethovens anschmiegt. Die professionell und unprätentios „live“ vorgetragenen Sonaten sind allesamt Ohrwürmer (Mondscheinsonate, Frühlingssonate sowie die Klaviersonaten 14 und 27). Doch wer unabhängig von diesem Abend sich die Musik anhört, wird feststellen, dass sie auf den ersten Blick alles andere als geeignet für eine choreografische Grundlage erscheint. Kaum durchgehende Tempi, keine mehrteiligen melodischen Bögen, dissonante Passagen... Wie es dem Choreografen und den Tänzern gelingt, eine harmonische Synthese zwischen der Bewegungs- und Körpersprache und der Musik herzustellen, ist überzeugend. Das Thema Tres - steht allgemein für Dreierbeziehung, ist und bleibt abstrakt - der Tanz und sein Ausdruck wirken durch die hohe musikalische Entsprechung sehr konkret. Das Ensemble Maria José Redelico, Leyre Castresana und Oliver Speers: insgesamt meis­terhaft, ernst und der kammermusikalischen Konzentration Beethovenscher Musik ebenwürdig.
Nach (zu) kurzer Pause im erfreulich entstaubten und neu renovierten Foyer des Bonner Theaters durfte man erneut gespannt sein, auf die Umsetzung der 6. Sinfonie von Beethoven. Und um es vorweg zu sagen, mit einer einzigen Einschränkung wurde der zweite Teil des Abends zu einem großen Genuss und einem wahren Erlebnis modernen Tanztheaters.
Doch der Reihe nach: Ullates Konzeption ist ebenso schlicht wie überzeugend. Die vier Sätze der Pastorale interpretiert er mit einer Symbiose der Lebensphasen und Jahreszeiten. Naive Jugend und Frühling, Sommer und Liebe, Alter und Herbst und zum Finale Tod (und Wiedergeburt?) und Winter. Diese Konzeption ist genial. Beethovens Sonatenhauptsatzform erlebte ihren durchschlagenden Erfolg nicht nur wegen ihrer kompositorisch meis­terhaften Ausführung, sondern auch deshalb, weil sie eine Umsetzung der aristotelischen Dramentheorie auf die Musik bedeutete. Und diese antike Dramentheorie entspricht seit über zweitausend Jahren so sehr unserem Lebensempfinden, dass bis heute kein Buch, kein Film und kein Theaterstück ohne sie auskommen kann.
Im ersten Satz startet Ullate mit einer kompakten Gruppen-Choreografie. Die Schönheit der Bewegungen entstehen aus ihren klassischen Urformen, aber Ullate spart nicht mit Elementen, die dem Ganzen Witz, Charme, Naivität und Frische verleihen.
Im zweiten Satz gibt es einen Wechsel von der Gruppe zum Pas de Deux. Hier sind die Bewegungen sehr harmonisch, die choreografische Form ist aber ernster und strenger.
Das Scherzo kehrt zur Gruppe zurück. Ullate zeigt das Alter mit sehr viel Humor. Originell, extravagant und witzig sind seine Bewegungen. Im Übergang zum Trio gelingt ihm dann eine verblüffende Wendung: Die ehedem noch komisch wirkenden Zipperlein des Alters steigern sich in plötzlichem Ernst zu den Zuckungen eines bevorstehenden Todes. Angst und Panik erfassen die Figuren. Im Übergang zum vierten Satz, wenn Beethoven das Hauptthema zitiert, fügt Ullate ebenfalls eine Reminiszenz aus dem Liebes-Pas de deux des zweiten Satz ein, um danach, beim Übergang in die Coda, quasi als neuen Beginn, neue Menschen vorzustellen.
Es ist als begänne alles von vorn: diese „neuen“ Menschen, noch ohne indi­vi­du­elle Unterschiede bli­cken unschuldig und forschend in eine neue Welt. So gelingt Ullate auch im Finale eine Entsprechung zu Beethovens Pastorale. Beethoven lässt uns hören, dass das Naive, Volkstümliche nicht das Minderwertige ist. Das Finale der Pastorale stimmt einen Hymnus an, wie ihn Könige erwarten: doch Beethovens Vision dabei ist der einfache Mensch. Selten scheinen Komponist und Choreograf über Jahrhunderte hinweg sich so nahe zu kommen, wie dies hier der Fall ist.
Zu Recht jubelt das Publikum am Schluss einem großartigen Ensemble mit standing-ovations zu.
Ach ja und die eine Einschränkung? - Es wäre erfreulich, wenn es bei der nächsten Gelegenheit etwas Geld fürs Theater gäbe, um die Klangqualität der Toneinspielungen dem Niveau des Bühnengeschehens entsprechen zu lassen. H.E.

Dienstag, 09.02.2010

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 24.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn