Bennbar - kultur 60 - November 2009

Poetische Autopsie: Bennbar in der Werkstatt

Ach ja, die „Kleine Aster“ zwischen den Zähnen eines ersoffenen Bierkutschers, die sich ewig satt trinken wird in seiner nach der Obduktion wieder zugenähten Brusthöhle – die „dunkelhellila Aster“, zu der die blaue Blume der Romantik unter dem Messer des Dichters Gottfried Benn (1886 – 1956) mutierte. Keiner auch der großen Lyriker unserer Zeit habe mehr als sechs bis acht vollendete Gedichte hinterlassen, schrieb er 1951 in seinem Essay Probleme der Lyrik, „die übrigen mögen interessant sein unter dem Gesichtspunkt des Biographischen und Entwicklungsmäßigen des Autors…“. Der zerrissenen Existenz des Dichters hat die junge Regisseurin Jennifer Whigham eine wunderbar sensible „literarisch-musikalische Obduktion“ auf der Werkstattbühne gewidmet. Die Schauspieler Tanja von Oertzen, Anke Zillich, Konstantin Lindhorst und Stefan Preiss bevölkern zusammen mit den Musikern Björn Klaus (Kontrabass) und Nico Lengauer (Saxophon) die Bennbar, zünden kostbare Verse und peinliche Reime. Zwischen Syphilis (Benn war Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten) und Asphodelen, Lido und Libido, Kokain und Konfetti erproben sie den Röntgenblick des Mediziners, der die Ambivalenz zum Prinzip seines Doppellebens gemacht hat.
In der schönen Ausstattung von Anne Brüssel tauchen Karikaturen von George Grosz ebenso auf wie Zeichnungen von Else Lasker-Schüler, mit der der notorische Frauenverschleißer und Beziehungsverweigerer Benn eine kurze, intensive Liebesaffäre hatte. Benns Rede auf die eigenwillige jüdische Lyrikerin wird ebenso zitiert wie Klaus Manns Brandbrief an den zeitweise dem Nazi-Pathos verfallenen Dichter, der den aus Deutschland nach Südfrankreich geflohenen Kollegen übel nachredete und sein Radardenken nicht immer hellsichtig einsetzte. Zwischen Papierstapeln – unter Zillichs schwarzen Kleid lugen beschriebene Spitzen hervor – und zerknüllten Zetteln lauert dieses mal „sich umgrenzende“, mal „zersprengte“, mal „gezeichnete“ und immer „späte“ Ich. Unverschämt selbstironisch in den Briefen an den Freund Oelze, grob gegen die unüberwindliche Dummheit, formvollendet in seiner arroganten Einsamkeit und immer auf der Suche nach „dem Gegenglück, dem Geist“.
Ein im besten Sinne fragwürdiger Abend über einen neu zu entdeckenden literarischen Selbstdarsteller, ein szenisch virtuoses, pessimistisches Aprèslude. Dr. G. Benns heilsame Rezepte werden dem Publikum bereits vor der Vorstellung zugeflüstert und sogar schriftlich ohne Zusatzgebühr ausgehändigt: „Entweder man macht Kunst oder man soll schweigen“ steht da z. B. In der Werkstatt wird eindeutig Kunst gemacht. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1½ Std., keine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellung: 31.10./6.11./10.11./12.11.09

Dienstag, 09.02.2010

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