Tannhäuser - kultur 60 - November 2009

Zwiespältige Männerphantasien: Tannhäuser - Oper von R. Wagner im Opernhaus

Eine schöne blonde Nackte geistert keusch und unnahbar wie von Botticelli gemalt durch den Venusberg. Das orgiastische Gezappel in der düsteren Lasterhöhle wirkt dagegen eher bedrohlich als lustvoll. Ganz im Gegensatz zu dem subtilen erotischen Glanz, den Generalmusikdirektor Stefan Blunier am Pult des Beethoven Orchesters gleich bei der Ouvertüre in allen Farben leuchten lässt. Gemeinsam mit Generalintendant und Regisseur Klaus Weise hat er sich entschieden, das von Wagner für die Pariser Tannhäuser-Aufführung 1861 (dort wurde ein Ballett zu Beginn der Oper verlangt) hinzukomponierte Bacchanal in die neue Bonner Inszenierung einzufügen. Das zieht sich in der Choreographie des renommierten jungen Nick Hobbs leider ziemlich lang hin. Kein Wunder, dass der Sänger Tannhäuser aus diesem künstlichen Schamhaar-Paradies weg will. Denn alle Lust will Ewigkeit, aber nicht gleich als sexuellen Dauerstress.
Um den Zwiespalt zwischen sinnlichem Begehren und der Sehnsucht nach der reinen Liebe geht es im Tannhäuser. Der Mann will gleichzeitig die Hure und die Heilige. So sehen auch die originellen Kos­tüme aus, in die Fred Fenner die Tänzerinnen und den Damenchor gesteckt hat: Vorne wie unbekleidet, hinten hochgeschlossen tiefschwarz: halb Liebesdienerin, halb Nonne, im feinen Licht von Thomas Roscher auch höfisch farbig abgestuft. Die Herren tragen meistens neuzeitliche schwarze Anzüge. Die mit Wanderstiefeln, Thermosflaschen und bunten Käppis gewappnete muntere Pilgerschar mit Kreuzritterfahne sieht aus wie eine Werbung für Jack Wolfskin. Nun ja: Ein wenig Folklore war mit der religiösen Bußfertigkeit immer schon verbunden, und die Karfreitagsprozessionen in Sevilla waren schon lange vor dem Spaßtrekking zu vorgebuchten Klosterherbergen inkl. Selbst­besinnungs­garantie eine Touristen­attraktion.
Romantische Mittelalter-Anmutungen verweigert das strenge Bühnenbild von Martin Kukulies glücklicherweise konsequent. Beim Sänger-Wettstreit auf der Wartburg gibt es Laufstege und Video-Großaufnahmen wie bei einer TV-Casting-Show und rote Augenbinden für die Jury und die Bewerber. Was Weises nach dem leicht zweifelhaften Beginn immer stärker überzeugende Inszenierung jedoch fraglos genau nimmt, ist Wagners Musik. Als Göttin Venus taucht Daniela Denschlag in einer überdimensionalen Harfe auf: lasziv hingegossen in einem hellen, Hautnähe suggerierenden Kostüm, dem ihr dunkel getönter sinnlicher Mezzosopran auf das Schönste entspricht. Denschlags Venus ist im ersten Aufzug Körper gewordener Klang, mit dem Instrument verschmolzen zu einer grandiosen Erscheinung. Der anfangs etwas metallisch klingende Tenor von Tannhäuser Scott MacAllister (prominenter Gast im Bonner Opernensemble) blüht hell strahlend auf, wenn er den kalten Venusberg verlassen hat. MacAllister ist als Bühnenfigur kein mit körperlichen Vorzügen prunkender Tannhäuser, sondern ein geist­reicher Zweifler. Als Sänger freilich einer, der die horrenden Strapazen der Partie glänzend bewältigt und die lange Rom-Erzählung im dritten Aufzug ohne jede stimmliche Ermüdungserscheinung zu einem Höhepunkt der gesamten Aufführung macht.
Wundervoll ist seine Wiederbegegnung mit Elisabeth in der Festhalle. Die keusche, heimlich für den Künstler Tannhäuser und seine neuen Töne entflammte Nichte des Thüringer Landgrafen (eindrucksvoll: Ramaz Chikviladze) trägt leidenschaftliches Rot. Einen kurzen, spielerisch leichtfüßig inszenierten Moment lang scheint es, als ob eine Überwindung aller Liebes-Widersprüche möglich wäre. Ingeborg Greiner (neu im Bonner Ensemble) gestaltet ihr Rollendebüt als Elisabeth ungemein intensiv. Ihr schöner Sopran schwingt sich mühelos in himmlische Höhen und schillernde seelische Abgründe. Sie ist die mädchenhaft liebesselige junge Frau, die mutig das gesellschaftlich noch inakzeptable Verhalten Tannhäusers als Utopie verteidigt. Sein tollkühner Regelverstoß beim Sängerkrieg behauptet ein Ideal, das Elisabeth begreift, aber nicht leben kann. Am Ende wird ihr gläserner Sarg wie ein Eisblock vorbeigetragen, an dessen brennender Kälte Tannhäuser seinen Geist aushaucht.
Gegen die Übermacht der beiden weiblichen Zentren des Geschehens behauptet sich der Minnersängertross exzellent. Hinreißend stellt sich Lee Poulis mit seinem feinen Bariton der Rolle des Wolfram von Eschenbach: Ein junger Mann, der längst verstanden hat, dass die Liebeserfüllung ihm existenziell nie zugedacht war, sondern bestenfalls ein melancholischer „Abendstern“.
Der Tenor Mirko Roschkowski ist der feinfühlige, kluge Walther von der Vogelweide, der Bariton Mark Morouse ist der energisch protes­tierende Biterolf. Mark Rosenthal gibt Heinrich dem Schreiber tenorale Spitzfindigkeiten, Martin Tzonev seinem Reimar tiefgründiges Bassvolumen. Anna Virovlanski taucht als androgyner junger Hirt im weißen Anzug mit überirdischem Frühlings-Sopran aus einem großen runden Loch im Stahlblechhintergrund auf.
Nach Tannhäusers skandalösem Auftritt in der teuren Halle und seiner gerade noch mal unblutig ausgegangenen Flucht aus der die alte Sängerkunst herbstlich bewahrenden Wartburg wird es lange leise schneien. Venus wird aus einem eisigen Erdloch heraus noch mal ihre feurigen Verführungskünste einsetzen. Vergeblich: Da schmilzt nichts mehr. Doch der vertrocknete päpstliche Hirtenstab wird das erlösende Grün und die Versöhnung von Leib und Seele nicht verweigern.
Weises kluge Personenführung überzeugt im zweiten und dritten Aufzug ebenso wie die Bilder, mit denen er die inneren Konflikte kenntlich macht. Was die Inszenierung dramatisch nicht völlig überzeugend einlöst, ist jedoch musikalisch allgegenwärtig. Chor, Extrachor und Jugendchor (Gesamtleitung: Sibylle Wagner), das Orchester mit seinen brillanten Solisten und das gesamte Gesangs-Ensemble sind sensationell gut. „Bayreuth-Format“ ist zwar nur noch bedingt ein Kompliment, international konkurrenzfähig ist der Bonner Tannhäuser (erarbeitet in Kooperation mit dem ­Beethovenfest Bonn) durchaus. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 4 Std., zwei Pausen
Im Programm bis: 7.02.10
Nächste Vorstellungen: 8.11./3.12./18.12./27.12./17.01./7.02.

Dienstag, 09.02.2010

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