Siegfried/Götterdämmerung

Vergoldeter Untergang - Siegfried/Götterdämmerung von Johann Kresnik in der Oper

Der Regisseur und Choreograph Johann Kresnik hat Wagners Ring des Nibelungen in Bonn ernster genommen als viele in Bayreuth. An dem Revolutionär Richard Wagner ist er dichter dran als irgendjemand zuvor. Es kracht, brennt und stürmt, wenn Wotan Kresnik mit den Göttern des Kapitalismus abrechnet und rabiat seine große Menschheitsutopie behauptet, die keine naiv siegverliebten Helden, vom Gold verblendeten Herrscher und dummdreisten Politiknarren mehr braucht, sondern nur noch tanzende Körper und freie Gedanken.
Kresnik schmiedet den zweiten Teil seines „Rings“ (hier ein riesiger vergoldeter Traktorreifen) in der Ausstattung von Gottfried Helnwein konzentrierter als Rheingold und Walküre. Zur Musik von Gernot Schedlberger (neben Band-Einspielungen an zwei Flügeln live intoniert von Claudio Frassato und Peter Bortfeldt) wird die große Geschichte von Geld, Macht und Gewalt sehr stimmig und klar erzählt. Nebenfiguren der Biographie Richard Wagners tauchen nicht mehr auf. Nur die mächtige Familie mit der übermächtigen Gattin Cosima (Hans-Jürgen Moll), dem braven Sohn Siegfried (Osvaldo Ventriglia) und dessen Witwe und Hitlerfreundin Winifred (Annabel Cuny) erscheint noch. Und die begeisterten Wagnerianer schlucken beim feinen Opernball gern mal Notenpapier. Richard Wagner (Robert Strajner) werden Hakenkreuze auf die Haut geschmiert, während aus dem Off Zitate aus seiner Schrift „Das Judentum in der Musik“ ertönen.
Kresniks Bilder sind nie zimperlich, entfalten jedoch bei Siegfried ganz zarte Momente und große Suggestionskraft. Siegfried (Sascha Halbhuber-Stead) erinnert sich an seine Geburt aus dem Inzest des Wälsungenpaars, das hier von einem Mann (Rory Stead) mit angeschnalltem Babybauch verkörpert wird. Entzückend umschwirrt der Waldvogel (Yoshiko Waki) den jungen Helden. Erda (Francina Borges) – von Kopf bis Fuß leuchtend rot wie später auch die drei Nornen (Dimitra Chalambous, Lucy Hickey, Bibiana Jimenez) – beschwört tanzend dem müden Wotan (Valenti Rocamora i Torà) die düstere Zukunft. Auf den Körper des Drachentöters, der den Riesen Fafner (Hans-Jürgen Moll) und den Zwerg Mime (Michal Sandor) erledigt hat, werden Bilder von Selbstmord-Attentätern und aktuellen Herrschern von Putin bis Bush und Ahmadine­dschad projiziert. Irre komisch ist die Videoprojektion des Disney-Comics „The Fuehrer’ s Face“.
Wagner träumt davon, dass Wotans verstoßene Lieblingstochter Brünnhilde (Vanessa Curado) Siegfrieds Braut wird. Ihr brennendes Riesenbett kracht irgendwann genauso zusammen wie bei der Götterdämmerung die ganze Bühne. Siegfried heiratet Gutrune (Daniela Greverath), die Schwester des Königs Gunther (Ziv Frenkel) und wird von Hagen (Osvaldo Ventriglia) regelrecht zerfleischt. Alberich (Mack Kubicki) geht mit dem Vorschlaghammer auf die Jagd nach dem Ring, Göttervater Wotan schleppt sich an Krücken zum bitteren Ende.
Das ist spektakulär: Auf einen Haufen aus Reifen und Schrottautos poltert aus dem Schnürboden ein goldener Cadillac, bevor die halbe Bühne samt Konzertflügeln im Orchestergraben versinkt und die Rheintöchter den Ring wieder in Besitz nehmen. Brünnhilde folgt dem geliebten Siegfried ins Feuer, aber ganz ohne Hoffnung endet die Geschichte nicht: Die sterbende Brünnhilde träumt von einer neuen, kindlichen Brünnhilde (Alma Gentile alternierend mit Antonia Schenkenberger).
Kresnik fordert seinem fantastischen Tanz-Ensemble noch einmal körperliche Höchstleis­tungen ab und spart wie üblich nicht mit Farben, nacktem Fleisch und rabiater Gesellschaftskritik. Seine Götterdämmerung ist auch ein ironischer Abgesang auf das Theater. Es ist seine letzte Inszenierung in Bonn, das sich ab der nächsten Saison kein eigenständiges städtisches Tanztheater mehr leisten kann. In der „Zeit“ vermutete kurz nach der mit viel Beifall bedachten Premiere die Kritikerin Melanie Suchy, die ansonsten miserable Auslastung der Kresnik-Produktionen am Bonner Operhaus könne daran liegen, „dass Kresnik sich an ein sowohl gebildetes als auch unorthodoxes Publikum wendet, das Metaphern lesen kann, Bezüge herstellen und Ikonen der Weltgeschichte erkennen. Seine Stücke sind auch ein Beitrag zur höheren Allgemeinbildung.“ Noch besteht Gelegenheit zu beweisen, dass es in Bonn ein Publikum für streitbares politisches Tanztheater gibt. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 80 Min., keine Pause
Im Programm bis: 05.06.08
Nächste Vorstellung: 27.03.08

Dienstag, 02.09.2008

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