L’Italiana in Algeri - kultur 46 - April 2008

Grenzenloses Vergnügen - L’Italiana in Algeri von Gioacchino Rossini in der Oper

Wie ein feuriger Italiener sieht der bebrillte junge Mann nicht gerade aus, dessen Bild die junge Dame da an die hohen unzugänglichen Mauern pappt. Vermisst! Irgendwo im Orient verschollen ist Lindoro, und die flotte Italienerin Isabella tut alles, um den Geliebten wiederzufinden. Das Spiel beginnt schon bei der Ouvertüre in Andrea Schwalbachs ungemein komischer Inszenierung von Gioacchino Rossinis L’Italiana in Algeri. Mit den Operetten Die Herzogin von Chicago und Im Weißen Rössl hat die Regisseurin in Bonn bereits ihren Einfallsreichtum im heiteren Musiktheater-Genre bewiesen. Operettenhaft witzig ist auch Rossinis 1813 uraufgeführtes „Dramma giocoso“, das der damals gerade 21-jährige Komponist in wenigen Wochen komponierte.
Unter der Leitung von Wolfgang Lischke spielt das Beethovenorchester Bonn Rossinis mitreißende Musik schwungvoll, stellt mit viel Esprit die vielen kleinen launigen Details heraus und entfacht eine Spielfreude, die auch das ganze Bühnengeschehen prägt. Schwalbach verlegt es in ein modernes türkisches Café-Haus mit Blick auf Minarette und Bosporus (fantastische Bühne von Anne Neuser). Dort ist Mustafa der absolute Chef. Der langhaarige Martin Tzonev mit weißem Anzug, rosa Hemd über leicht gewölbtem Bauch und protzigen Goldkettchen (Kostüme: Stephan von Wedel) gibt mit sattem, prächtigen Bass den Macho, der sich eine Menge Arbeitssklaven hält und nebenbei eine ihm treu ergebene Frau. Anna Virovlansky spielt mit silbrig-heller Sopranstimme die verschüchterte Elvira, die sich verzweifelt an das goldgerahmte Hochzeitsbild und die Traditionen klammert. Ihre Lieblingssklavin Zulma (die Mezzosopranistin Anjara I. Bartz mit herrlich witziger Rollengestaltung) muss ihr ab und zu einen Schubs geben, damit sie ihrem geliebten Gatten nicht allzu unterwürfig auf die Nerven geht. Der hat sich ausgerechnet einen Italiener als Buchhalter gekapert: Lindoro hockt an einen Stuhl gefesselt am Tisch und schmilzt vor Sehnsucht nach seiner geliebten Isabella. Der junge isländische Tenor Jonas Gudmundsson erklimmt bravourös die schwindelerregenden Höhen dieser Partie.
Den Seeweg wählt nach vergeblichen Versuchen, Lindoros Gefängnis zu stürmen, die tüchtige Isabella und donnert mit einer Motorjacht durch das Panoramafenster. Als Kapitän für die spektakuläre Bruchlandung hat sie Taddeo mitgebracht, der sich für ihren Liebhaber hält und flugs als ihr Onkel ausgegeben wird. Der quirlige Bariton Haris Andrianos macht aus der Buffo-Rolle ein höchst vergnügliches Kabinettstück. Star der Aufführung ist jedoch ohne Zweifel die Mezzosopranistin Susanne Blattert als unverschämt schlaue Italienerin Isabella. Mit Brille und grauem Kostüm sieht sie zwar eher aus wie eine Versicherungs-Managerin. Aber wenn sie diese Hülle kalkuliert fallen lässt, geraten angesichts dieses erotischen Energiebündels nicht nur die Männer unter Dampf. Auch die Muslimfrauen lösen ihre Kopftücher. Selbst der Pepsi-Kühlschrank neben der Bar-Theke fängt fast Feuer. Mustafa entflammt ohnehin für die schöne Fremde, die natürlich nicht seine Beute wird, sondern selbst auf Beutezug ist und am Ende samt ihrem Lindoro auch noch fast sein ganzes Sklavenpersonal befreit und damit nach Italien zurückdampft. Wenn Mustafa nicht für Isabellas Gunst den armen Taddeo zum großen Kaimakan ernannt hätte, wäre er wahrscheinlich nicht zum noch viel wichtigeren Pappataci aufgestiegen. Wie das Fantasiewort schon sagt: Dieser ‚Würdenträger’ hat zu genießen und vor allem zu schweigen. Was sein gar nicht stummer Diener Haly (sehr präsent: Algis Lunskis) von Anfang an wusste, sei dahingestellt. Das lautmalerische Finale des ers­ten Aktes, wo es angesichts der prekären Situation wirklich allen die Sprache verschlagen hat, gehört ganz gewiss zu den schönsten musikalischen Erfindungen Rossinis.
Glänzend präsentiert sich der Herrenchor der Oper Bonn unter der Leitung von Sibylle Wagner. Irre komisch ist die Choreographie von Bärbel Stenzenberger, wo beim Bauchtanz auch mal ein Männerbauch schwingt und Schnurrbärte wackeln. Am Mauerloch schwebt gelegentlich ein fliegender Teppich samt Passagieren vorbei, ab und zu lugt ein Kamel um die Ecke. Manchmal spaziert eine kleine Postbotin mit ihrem Wägelchen staunend durch die verrückte Szenerie. Der gelbe Riese erobert das goldene Horn, während Elvira sich ein wenig europäisch auftakelt, um an Mustafas Seite ihr Glück zu suchen. Der ist damit ganz zufrieden und ziemlich froh, dass die frechen Europäer endlich weg sind.
Andrea Schwalbachs Inszenierung spielt ironisch einfallsreich mit den Klischees von Orient und Okzident und zeigt im Gegensatz zu der derzeit in Köln zu besichtigenden alten Ponnelle-Aufführung eine entstaubte, moderne Italiana in Algeri, ohne irgendwelche Vorurteile vordergründig zu bedienen. Es darf getrost schallend gelacht werden. Das Premierenpublikum tat das ausgiebig und belohnte das ganze Ensemble mit kaum enden wollendem Beifall. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., inkl. Pause
Im Programm bis: 14.06.08

Dienstag, 02.09.2008

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