Karl und Rosa - kultur 100 - November 2013

Karl und Rosa in den Kammerspielen

Wenn die Revolution Trauer trägt

Rosa Luxemburg hatte es sich anders vorgestellt. Nicht tatenlos im Gefängnis sitzen, sondern kämpfen für eine sozialistische Gesellschaft. Rosa ist die Hauptfigur im letzten Teil von Alfred Döblins monumentalem Erzählwerk November 1918. Zusammen mit der Dramaturgin Nina Steinhilber hat Alice Buddeberg, die neue Hausregisseurin am Schauspiel Bonn, eine Bühnenfassung des Stoffes erarbeitet und damit die Saison in den Kammerspielen eröffnet. Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist trotz ein paar Längen ein großer Wurf.
„Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“, zitiert der kriegsversehrte Altphilologe Friedrich Becker den Reformator Luther. Rosa Luxemburg (hervorragend: Sophie Basse) erlebt das hautnah, wenn sie ihren im Krieg gefallenen Geliebten Hannes in ihrer Zelle herbeifantasiert. Gespenstisch kriecht ihr dieser Wiedergänger aus dem Totenreich unter die Jacke und tänzelt unverschämt durch ihre Träume vom persönlichen Glück. Alois Reinhardt spielt die lebendige Leiche ebenso virtuos wie den Satan, der als gefallener Engel nicht ganz unbeteiligt war an der Vertreibung der Menschen aus dem friedlichen Paradies-Garten. Ausgerechnet „Eden“ hieß das Hotel, in dem Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 15. Januar 1919 von Freikorps-Anführern misshandelt und anschließend ermordet wurden.
Schmal ist der Bühnenraum von Cora Saller am Anfang, während auf dem Vorhang allmählich Schlachtjahreszahlen erscheinen. Später wird es regnen über der weiten düs­teren Erde, die ihre Toten nicht begraben will. Antigone ist Unterrichtsstoff an dem Berliner Gymnasium, wo Friedrich Becker (eine der fiktiven Figuren in Döblins Endzeit-Panorama) sein lädiertes Rückgrat an national gesinnten Schülern erprobt, die eher für Kreons Staatsraison stimmen. Sören Wunderlich spielt wunderbar genau den christlichen Menschenfreund, der eher zufällig in den Strudel der Ereignisse gerät. Glenn Goltz ist sowohl der entgegen Rosas Bedenken vorpreschende Karl Liebknecht als auch der von seinem pädagogischen Eros heimgesuchte Schuldirektor. Ein George-Jünger und Ästhet im weißen Seidenmorgenrock (Kostüme: Maria Küster), der seinem Lieblingsschüler Heinz Riedel (Benjamin Berger) so nahe kommt, dass er es nicht lange überlebt.
Beckers einstiger Lazarett-Kamerad Johannes Maus (fabelhaft: Daniel Breitfelder, der u.a. auch den verlotterten Dichter Erwin Stauffer spielt) trägt statt einer Meinung Uniform und erobert damit Beckers Freundin Hilde (frisch von der Schauspielschule: Julia Keiling, die sehr anrührend auch Rosas naive polnische Gefängnis-Gefährtin verkörpert). Johanna Falckner tritt u.a. auf als Liebknechts Gattin Sonja, als strohblonder Klassenprimus und als Schauspielerin Lucie, die ihr rosa Kleidchen im Sumpf der theatralischen Selbstmordlust gar nicht genug verdrecken kann.
Vieles passiert gleichzeitig in diesen Wochen zwischen dem 8. November 1918, der Proklamation einer freien deutschen Republik und dem bitteren Ende.
Die historischen Gegner der Revolution lässt die Inszenierung beiseite zugunsten der persönlichen Tragödie von Rosa Luxemburg. Sophie Basse spielt ihr Scheitern nicht nur. Sie ist diese Parteisoldatin, die Mitleid hat mit allen Lebewesen und für diese in einen Kampf zieht, den sie bewusst verliert. Denn die Massen folgen ihr nicht in ihr theoretisch erdachtes Paradies. Eine heilige Johanna der politischen Grabenkämpfe, sehr klar und geradlinig, aber vom Tod umfangen.
Es gibt auch viel irrsinnige Komik an diesem langen Abend, der einen unheimlich folgenreichen Moment der deutschen Geschichte hochintelligent und niemals langweilig beleuchtet. Selbst wenn auf der steilen Bühnenschräge auch etwas weniger Rutschpartien gereicht hätten und ein paar Jux-Nummern nur mäßig zur Wahrheitsfindung beitragen. Wirklich gut präsentieren sich die acht überwiegend jungen Mitglieder des neuen Ensembles, das sich mit dieser Aufführung einen Startplatz auf der Pole-Position in der Publikumsgunst erobert hat. E.E.-K.

Spieldauer ca. 4 Stunden,
inkl. einer Pause
Die nächsten termine
27.10./16.11./23.11./22.12./29.12.

Dienstag, 03.12.2013

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