Rico, Oskar und die Tieferschatten - kultur 96 - Mai 2013

Rico, Oskar und die Tieferschatten von Andreas Steinhöfel im Jungen Theater Bonn
Clevere Jungs

Eine gerade Straße ist für Rico echt gut. Mit links und rechts hat er nämlich kleine Probleme, aber sein Gehirn arbeitet eigentlich einwandfrei. Nur ein bisschen langsam, was aber manchmal viel besser ist als das ungebremste Tempodenken seiner Umwelt. Außerdem laufen sogar viele Erwachsene frei rum, deren geistiger Zustand eigentlich für eine Überfüllung der Förderzentren sorgen müsste.
Mit vollem Namen heißt der muntere Junge wegen seines tragisch ums Leben gekommenen italienischen Vaters Federico Doretti und stellt sich allen Leuten als „tiefbegabtes Kind“ vor. Er kommt ganz gut klar damit, dass in seinem Kopf manchmal ein großes Durcheinander herrscht. Gern erfindet er schöne neue Wörter wie beispielsweise „Tieferschatten“. Denn in dem verlassenen Hinterhaus des Berliner Mietshauses, wo er mit seiner alleinerziehenden Mutter wohnt, huschen manchmal merkwürdige Schatten an den Fenstern vorbei.
Am Jungen Theater Bonn hat Andreas Lachnit Rico, Oskar und die Tieferschatten nach dem 2009 mit dem Deutschen Jugendliteratur-Preis ausgezeichneten Bestseller sehr flott und witzig inszeniert. Geschickt sind die vielen kleinen Szenen der epischen Vorlage miteinander verzahnt. Dabei spielt das Bühnenbild von Laurentiu Tuturuga eine maßgebliche Rolle. Über die weißen, ständig in Bewegung gehaltenen Bauteile flimmern Video-Projektionen von Graffiti und abstrakten Stadtfragmenten, die auch Ricos ungeordnete Wahrnehmungsweise reflektieren.
Im vertrauten Haus mit seinen unterschiedlichen Bewohnern kennt er sich allerdings bestens aus. Die Abende verbringt er oft bei Frau Darling, die sich ihre einsamen grauen Stunden gern mit Liebesfilmen und Krimis vertreibt und leckere Schnittchen macht. Andrea Brunetti spielt herrlich komisch die leicht schrullige Dame mit dem großen Herzen, die sogar weiß, was ein Call-Girl ist. Ricos attraktive Mutter Tania kennt das älteste Gewerbe ohnehin bestens. Schließlich verdient sie ihr Geld in einem Nachtclub. Katharina Felschen im superkurzen Minirock (tolle Kostüme: Brigitte Winter) ist eine wirklich tolle Mama. Manchmal etwas unausgeschlafen, aber hellwach für das Selbstbewusstsein ihres Kindes. Ein Phänomen ist der 14-jährige Justus Einig (alternierend mit dem 13-jährigen Anton Beck) als Rico. Ein Profischauspieler könnte kaum besser die psychische Verletzlichkeit und all die komplexen Gehirnwindungen deutlich machen, die trotz Retardierungen genau ins Ziel treffen. Ab und zu kommen seine inneren Monologe vom Band, in die er dann live hineinspringt, nach richtigen Wörtern sucht und sorgfältig logische Schlüsse aus seinen Erlebnissen zieht.
Dass plötzlich der kleine Oskar auftaucht, ist nicht ganz zufällig. Der Junge ist „hochbegabt“, beherbergt in seinem stets von einem Motorradhelm beschützten Superhirn eine irre Menge Wissen und deshalb eine schier unüberwindliche Lebensangst. Der 13-jährige Josia Vantroyen (alternierend mit dem 11-jährigen Gustavo Maria Jochim) spielt diese arrogante Intelligenzbestie fabelhaft genau. Die eben begonnene Freundschaft zwischen dem naiv pfiffigen, kommunikationsfreudigen Rico und dem einsamen Schnelldenker Oskar bekommt indes schnell einen Knacks, weil das geplante nächste Treffen platzt.
Denn in Berlin treibt Mr. 2000 sein Unwesen, der Kinder in seine Gewalt bringt und gegen relativ geringes Lösegeld ihren Eltern zurück­gibt, weshalb die Presse ihn „Aldi-Kidnapper“ nennt. Die Geschichte wird zum echt heißen Krimi mit einem rasanten Show-Down. Die nicht sonderlich sympathische und hygienisch grenzwertige Schlafmütze Herr Fitzke (Carlo Himmel), der saubere Schließdienst-Mann Marak (Bernard Niemeyer) und vor allem der neue Hausbewohner Simon Westbühl (Jan Hermann) bringen Ricos und Oskars Synapsen auf Hochtouren. Dass Ricos Mutter mit ihrem untrüglichen Blick fürs männlich Wesentliche Simon gleich für eine „scharfe Schnitte“ hält, ist nicht ganz falsch. Dass Marak eine Wut auf Eltern hat, die ihre Kinder vernachlässigen, ist begreiflich. Dass er Rico notorisch einen „Schwachkopf“ nennt, ist freilich völlig falsch.
Wie souverän die beiden Kinder (alle anderen Rollen sind aus dem erwachsenen Profi-Ensemble besetzt) mit ihren scheinbaren Defekten umgehen und sich gemeinsam tapfer behaupten, ist dagegen ein Theaterglück ers­ten Ranges. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1¾ Stunden inkl.,einer Pause
Die nächsten Termine:
1.05. / 3.05. / 30.05. / 31.05.13
Geeignet für Publikum ab 8 Jahren.

Dienstag, 12.11.2013

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