Nocturno - kultur 96 - Mai 2013

Nocturno Uraufführung von Georg Friedrich Haas im Forum der Bundeskunsthalle: Nachtgespenster

Im Dunkeln zu hören verlangt die Komposition Nocturno für Frauenchor, neu geschrieben für die gleichnamige Produktion der experimentellen Musiktheater-Reihe „Bonn Chance!“, die damit zu Ende ging. Deshalb wurde das Publikum mit Augenmasken versorgt und blind ins Forum der Bundeskunsthalle geführt. Die Stimmen der achtzehn Damen des Bonner Opernchors, einstudiert von Sibylle Wagner, entwickelten einen unsichtbaren Klang-Bildraum. Poetische Sätze aus Novalis‘ romantischen Hymnen an die Nacht und Georg Trakls düs­ter-symbolistischer Romanze zur Nacht überlagern sich geheimnisvoll in dieser knapp fünfzehnminütigen mikrotonalen Nachtmusik, die das eigene Raum-/Zeitgefühl auf die Probe stellt. Die Texte bleiben bewusst unverständlich, zartes Wispern schwillt sehnsüchtig an und verhallt.
Nocturno von dem Österreicher Georg Friedrich Haas war das letzte musikalische Auftragswerk unter der Bonner Generalintendanz von Klaus Weise. Dieser inszenierte 2011 bei den Schwetzinger Festspielen mit großem Erfolg die Uraufführung von Haas‘ Oper Bluthaus. Der in Graz und Basel lehrende Komponist, Anfang März 2013 mit dem hochdotierten Salzburger Musikpreis ausgezeichnet, griff auf zwei bereits konzertant aufgeführte Gesangssolo-Stücke zurück, stellte Atthis und Haiku aber in einen neuen dramatischen Zusammenhang. Das szenisch-räumliche Konzept dafür entwickelten der Regisseur Florian Lutz, der in der Bonner Oper zuletzt Regie führte bei Norma, und der Ausstatter Christoph Ernst.
Nachdem es hell wurde, durften die Zuschauer/-hörer herumwandern und sich selbst ihre Perspektiven suchen in der Installation aus Fundus-Mobiliar, japanischen Pornofotos, Koch-Show und Festmahl. Die Sopranistin Ruth Weber, die bei Bluthaus bereits die zentrale Rolle der Natascha Albrecht sang, verkörperte mit ungeheurer Intensität eine einsame Frau, die zwischen Herd und Bett den Verlust der Geliebten betrauert, im Rollstuhl durch die Szenerie saust und schließlich jubelnd die Flamme des erotischen Begehrens neu entzündet. Der Text zu dieser hochdramatischen weiblichen Liebesgeschichte stammt von der antiken griechischen Lyrikerin Sappho. Der junge Bariton David Pichlmeier wiederholte derweil etwa achtzig Mal mit unterschiedlichen emotionalen Stimmungen ein Haiku des japanischen Dichters Yosa Buson aus dem 18.Jahrhundert Die Nacht so kurz – oh! Und im Haar der Raupe Perlen von Tau. Angeekelt überklebte er die wüsten sexuellen Verlockungen, spielte den Gastgeber am fein gedeckten Tisch oder den netten Jungen, der lieber Salat zupft als in Venusfallen zu rennen.
Per Live-Kamera wurden Szenen verfolgt und auf Bildschirme projiziert, was zur Aufklärung dieses „Nocturnos“ nicht viel beitrug. Ein wenig „Lost in Translation“ (Haas ist verheiratet mit einer Japanerin) blieb man ohnehin in dem stark inszenierten Chaos, dessen ritualisierte Beliebigkeit nur Halt fand in der Musik. Bravourös agierte der Chor, der auch spielerisch viel zu tun hatte. Auf neue Klänge spezialisiert ist das Kölner internationale Solistenensemble musikFabrik, das unter der musikalischen Leitung des Bonner Zweiten Kapellmeisters Christopher Sprenger aufspielte und im rätselhaften Geschehen selbst zum Akteur wurde.
Nocturno widmet sich den verstörenden Nachtseiten des Lebens. In dieser Präsentation war es auch ein Nachhall unserer heutigen divergierenden Wahrnehmungsweisen. Der Beifall nach gut 90 spannenden Minuten war freundlich. E.E.-K.

Es gab nur vier Aufführungen im März 2013.

Dienstag, 12.11.2013

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