SnoWhite - kultur 89 - Oktober 2012

SnoWhite Musical von Frank Nimsgern in der Oper: Schneewittchen und die Spiegelhexen

Die Zwerge sind wirklich eine fantastische Truppe. Man muss die munteren Jungs einfach mögen, die in ihrer unterirdischen Zwergenhöhle lustig herumwerkeln. Auch wenn der hochgewachsene, superschlanke Transvestit (hervorragend: Maurice Stocsek) schon mal aus der Reihe tanzt. Pralle Gutherzigkeit strapaziert gelegentlich jedes Zwergenhirn, aber herrlich witzig tanzen können die jungen Profis alle (dass sie in der Kölner Streetdance-Szene aufgelesen wurden, ist eine hübsche Legende), denen die Choreographin Brigitte Breternitz ganz individuelle Bewegungen auf den Leib geschrieben hat: Hip Hop und Breakdance ebenso wie klassischen Modern Dance. Ihre Spielfreude ist umwerfend, wird aber noch übertroffen von dem Anführer Minitou. Der kennt sich sogar in der Menschenwelt aus, was zu einer irrwitzigen Parodie der flachsten TV-Unterhaltung führt. Gespielt wird er von Frank Felicetti, der mit seiner fulminanten Gesangsröhre der Königin fast die Schau stiehlt und außerdem die Texte verfasst hat für das Musical SnoWhite von Frank Nimsgern, mit dem die Oper Bonn den Startschuss für die letzte Saison unter der Generalintendanz von Klaus Weise abfeuerte.
Ein Kindermärchen ist die Geschichte nicht, aber durchaus jugendfrei. Nicht zur Schneewittchen-Vorlage der Brüder Grimm gehören die sieben Hexen und die unverschämt freche Oberhexe Abigail (Nina Alexandra Filipp), die grimmig in die Handlung eingreifen. Sie haben es nämlich satt, der eitlen Queen ständig als Spiegel zu dienen. „Königin ist Superstar“ brüllt die Rock-Lady und erhebt sich mit Hilfe der Bühnentechnik sogar mal fast bis zum Bühnenhimmel. Die stimmgewaltige Aino Laos zieht echt eine Show ab, die einige Pop-Stars das Fürchten lehren könnte. Sie ist so märchenhaft zickig, abgrundtief gemein und selbstverliebt, dass die revoltierende Hexenmeute unter ihrer Fuchtel sogar kurz zu niedlichen Ballett-Hündchen mutiert. Dass sie als tiefgebeugtes, armes Mütterchen verkleidet ihre roten Highheals (tolle Kostüme: Judith Adam) anbehält, hätte Schneewittchen eigentlich stutzig machen müssen.
Michaela Kovarikova spielt im braven blauen Faltenröckchen und mit nicht ganz so bravem Schuhwerk entzückend das blasse, naive Mädchen, das auf der Flucht vor der stiefmütterlichen Herzlosigkeit im Zauberwald landet. Bei ihren romantischen Songs schmilzt jedes Herz dahin wie die tropfenden Eiszapfen bei den eingespielten Videos. Zu üppigen Filmmusik-Klängen (die Opernzitate und sonstigen Anspielungen in Nimsgerns Komposition sind ein Vergnügen für sich) gibt es stimmungsvolle Bilder von blühenden Landschaften, wilden Gebirgen und Wasserfällen. Regisseur Elmar Ottenthal hat für seine Neuinszenierung des 2000 in Saarbrücken uraufgeführten Musicals auch die Bühne gestaltet und mit tollen Effekten von Pyrotechnik bis Flugwerk nicht gespart, die mehr hermachen als sie kosten.
Viel her macht auch der langhaarige Jäger, den die Hexen für ihre Zwecke engagieren. Der versierte Musical-Sänger John Davies verkörpert heldenhaft den ausgeflippten Typen, der selbst zum Gejagten wird und dabei seine große Sehnsucht nach der reinen Liebe und dem wahren Leben entdeckt. Natürlich verknallt er sich blues-mäßig in das zarte Schneewittchen, das den Mordanschlägen der Queen leider erliegt. Die geht auf Nummer Sicher und bringt gleich alles mit: Das zu enge Mieder, den vergifteten Kamm und den tödlichen Apfel. Da hilft den Zwergen nicht mal mehr das flugs zu Rate gezogene Märchenbuch. Schneewittchen landet im gläsernen Sarg.
Nicht für ewig, denn selbstverständlich gibt es einen rettenden Kuss, bevor das selige Paar unter noch seligeren Tönen in der Versenkung verschwindet. „Sei du selbst“, lautet die schlichte Botschaft. Daran hält sich der mitfühlende Minitou gnadenlos und treibt mit einem durchgeknallten Medley aus so ziemlich allem, was die Popmusik hergibt, das Publikum nach der lyrischen Stilblüten-Lese wieder voll in Schwung. Eine Klasse für sich ist die vom Komponisten selbst geleitete Frank-Nimsgern-Group, die das Ganze mit fetzigem Sound begleitet. Die großartige Band zeigt sich jedoch erst gegen Ende, wenn die ganze Truppe die Highlights des dramaturgisch leichtgewichtigen Stückes noch mal Revue passieren lässt. Von den perfekt singenden und tanzenden Heavy-Metal-Hexen und der wahnsinnigen Fantasy-Queen kann man sowieso kaum genug kriegen.
Wenn solides Musical-Handwerk den Opernetat stützt, ist Beckmesserei nicht angesagt. Der begeisterte Premierenbeifall (zu den Ehrengästen gehörte natürlich der stolze Vater und berühmte Wagner-Bariton Siegmund Nimsgern) ließ nichts zu wünschen übrig. Standing Ovations, Klatschmarsch, Jubel der überall in der so genannten ‚Hochkultur’ heftig umworbenen Generation 40 minus.
Eine erfrischende Live-Alternative zu den beiden neuen Kino-Versionen des unsterblichen Märchens ist die Produktion sicher, zu der es bereits eine CD gibt. Schöner ist es jedoch, direkt dabei zu sein, sich von den tanzenden Stimmen und Körpern verführen zu lassen und in die verrückte Bilderflut einzutauchen. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2½ Stunden inkl. einer Pause
Im Programm bis 27.04.13
Weitere Termine:
2.11. / 10.11. / 23.11. / 23.12. / 31.12. (s .S. 18) / und weitere 11 mal im Jahr 2013.

Dienstag, 13.11.2012

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