Anna Karenina - kultur 94 - März 2013

Anna Karenina nach Leo Tolstoi im Kleinen Theater: Schuldlose Liebe

Es ist einfach passiert. Anna Karenina, recht glücklich verheiratet mit dem deutlich älteren, hoch angesehenen Beamten Alexej Karenin, hat sich auf die Reise gemacht, um die Ehe ihres Bruders Stiwa zu kitten, der es mit der Treue nicht so genau nimmt. Annas diplomatische Bemühungen sind übrigens sehr erfolgreich, denn sie verfügt über psychologisches Geschick und einen nüchternen Menschenverstand. Aber es gab auf dem Bahnsteig jenen kurzen Moment, bei dem sich ihr Blick mit dem des charmanten Rittmeisters Graf Wronskij traf. Nichts Besonderes eigentlich, aber bekanntlich der Beginn einer katastrophalen Leidenschaft, die der russische Dichter Leo Tolstoi in seinem 1878 erschienenen Roman Anna Karenina zur Weltliteratur erhob.
Im Kleinen Theater hat Rolf Heiermann die berühmte Geschichte in einer zusammen mit Katalin Glavinic erarbeiteten neuen Bühnenfassung inszeniert. Etliches vom vielschichtigen Gesellschaftskolorit der Erzählung muss dabei entfallen. Die Regie konzentriert sich auf die vielsagenden kleinen Momente und das Verhängnis, das unerbittlich seinen Lauf nimmt. Großartig präsentiert sich dabei Anouschka Renzi in der Titelrolle. Sie hat genau das reflektiert Künstliche, diesen Anflug von steter Selbstbeobachtung und Gefühlskontrolle, die Anna paradoxerweise so anfällig macht für eine haltlose Liebeserfahrung. Auf einem Ball tanzt sie sich mit Wronskij aus der Welt. Matthias Schuppli spielt ihn weniger als jugendlichen Verführer, sondern als ernsthaft Liebenden, der überfordert ist von den Folgen. Noble Haltung bewahrt Dagmar von Kurmin als alte Gräfin Wronskaja. Ihr mütterliches Verständnis unterliegt ihren strengen Prinzipien. Alter Adel verpflichtet, Lebenslust entschuldig keinen Fehltritt.
Karl-Heinz Dickmann ist Annas Gatte Karenin, dessen Prinzipientreue auf eine harte Probe gestellt wird. Einen Skandal kann er nicht brauchen, und er hat ein Druck­mittel: den kleinen Sohn, den Anna abgöttisch liebt. Ihr Glück an der Seite Wronskijs bleibt fragil. Selbst die anscheinend unbeschwerte Flucht ins sonnige Italien kann die Schatten nicht vertreiben, die auf der gesellschaftlich nicht akzeptierten Beziehung lasten. Währenddessen finden andere Paare neuen Halt. Annas Schwägerin Dolly (sympathisch allen Widerständen trotzend: Sandra Krolik) versöhnt sich mit ihrem Gatten Stiwa (als jovialer Schwerenöter: Holger Franke). Dollys jüngere Schwester Kitty (entzückend: Barbara Maria Sava) muss die Aussichtslosigkeit ihrer Liebe zu Wronskij schmerzhaft begreifen und findet Trost bei dem Gutsbesitzer Lewin (wunderbar bodenständig: ­Alexander Hanfland).
Umgeben von all dem Luxus, den Wronskij ihr bietet, vereinsamt Anna Karenina. Sie verliert sich – nicht durch den Ehebruch selbst, sondern weil ihre radikale Liebe sie entwurzelt. Es ist keine Frage der Schuld. Es ist einfach unausweichlich passiert. Und wieder fährt ein Zug in den Bahnhof wie am Anfang. Er wird das Letzte sein, was die schöne Anna Karenina erblickt.
Im Kleinen Theater wird ihre dramatische Geschichte sensibel gezeigt. Die diversen Schauplätze sind durch eingeblendete Fotos markiert, bei denen ein wehender Vorhang oder Lichtreflexe im Fenster eines Petersburger Palastes auch die Befindlichkeit der Figuren illustrieren. Was beim Bühnenbild eingespart wurde, ist anscheinend in die prächtigen historischen Kostüme (Ausstattung: Anita Rask-Nielsen) investiert worden. Die sind wirklich eine besondere Augenweide in dieser auch sonst glänzenden Aufführung. E.E.-K.
Spieldauer ca. 2 ¼ Stunden inkl. einer Pause

Die nächsten Termine:
täglich (außer 7.03.) vom 2. bis zum 10.03.13.
Sonntags wegen der großen Nachfrage 16 und 20 Uhr

Dienstag, 01.10.2013

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 23.04.2024 12:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn