Le jardin des délices - kultur 94 - März 2013

Le jardin des délices von Blanca Li – Tanz-Highlight aus Frankreich

Multimedial arbeitet auch die in Granada geborene Choreographin Blanca Li, die bei den beiden Bonner Vorstellungen ihres 2009 beim Tanzfestival in Montpellier uraufgeführten Stückes Le jardin des délices selbst mittanzte. Zusammen mit der Animationsfilmerin Eve Ramboz hat sie viele Motive aus dem ebenso berühmten wie rätselhaften, um 1500 entstandenen Triptychon Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch in Bewegung gesetzt. Sie spielt mit dem szenischen Material von Boschs fantastischen Bildeinfällen, den perspektivischen Verschiebungen von Nähe und Ferne und vor allem mit der ungelösten Differenz zwischen sündiger Wollust und paradiesisch unschuldiger fried- und freudvoller Leibeslust. Ein weinendes Einhorn versinkt im Tränensee, ein nack­tes Menschenpaar schwebt in einer durchsichtigen Kugel, seltsame Chimären erscheinen und verschwinden. Aus dieser magischen Bilderwelt lösen sich die neun Tänzerinnen und Tänzer der in Paris residierenden Blanca Li Dance Company. Verteufelt ne­ckisch taucht die Schlange im Garten Eden auf und verweist Adam und Eva am verbotenen Bäumchen der Erkenntnis auf den kleinen Unterschied. Im säkularen 21. Jahrhundert manifestiert der sich swingend in schi­cken Clubs. Mit feuerroter Federboa und unverschämten High-Heels fetzt eine Showsängerin (gesungen wird live und frech zwischen Bartischen und -stühlen) ihre Wut ins Publikum und aufs Piano, an dem Jeff Cohen brillant in die Tasten haut. Goldstücke klimpern aus satten Mäulern und beherzten Hinterteilen, wenn nicht gerade wieder die Handys bimmeln zum Geschäft mit Boni und Bonnies.
Blanca Li kreuzt geistreich die allegorische Weltsicht auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Renaissance mit der turbulenten Gegenwart. ­Animalische Sexsucht trifft auf ätherisch weiße Körper, geschlechtliches Verlangen auf monströse Albtraumgespenster.
Aus den zweidimensionalen Gruppenkonstellationen des Gemäldes formieren sich unverschämt erotisch ineinander verhakte Körperskulpturen, bei denen nicht mehr erkennbar ist, welches Glied zu welchem Individuum gehört. Skurril ist die Tischtuch-Modenschau-Parodie, köstlich der Erdbeerhimmel (Bosch spart in seinem utopischen Lustgarten weder an aphrodisischen Früchten noch an Fruchtbarkeitssymbolen), amüsant das eitle Getue um den Wellness-Jungbrunnen. Am Ende flirtet einer auf dem Thronsessel mit einem grinsenden Skelett, in der „musikalischen Hölle“ wird jemand auf der Harfe gegrillt, und ein Messer zwischen den Ohren verheißt wenig Wohlklang. Das geht unter die Haut wie Boschs leichenblasse Liebesleiber zwischen Riesengevögel und infernalischem Gelichter. Oder provoziert befreiendes Gelächter, denn dieser tollkühne Bilderrausch ist ein wunderbar satirisches Tanztheater-Meisterstück, das leichtfüßig in 90 pausenlosen Minuten über die historischen Zeitgrenzen tobt und künstlerisch perfekt Illusionen und Konventionen neu untersucht. Für die begeisterten Ovationen im ausverkauften Opernhaus bedankte sich das Ensemble mit weißen Luftballons. E.E.-K.

Dienstag, 01.10.2013

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