Nicht nur zur Weihnachtszeit - kultur 102 - Januar 2014

Nicht nur zur Weihnachtszeit im Theater Die Pathologie: Tannenbaum-Trauma

„Tante Milla war in der ganzen Familie von jeher für ihre Vorliebe für die Ausschmückung des Weihnachtsbaumes bekannt, eine harmlose, wenn auch spezielle Schwäche, die in unserem Vaterland ziemlich verbreitet ist.“ Mit köstlicher Bosheit beschreibt Heinrich Böll in seiner 1951 erstmals veröffentlichten Erzählung Nicht nur zur Weihnachtszeit den Verfall einer ganzen Familie angesichts von allabendlichem Kerzenschein und „Leise rieselt der Schnee“ selbst im Hochsommer. Es begann um Mariä Lichtmess herum, zu einer Zeit also, in der man hierzulande die Christbäume plündert. Doch Tante Milla widerstand tapfer allen Vernichtungsaktionen, bis nur noch eine Tannenbaum-Therapie unter Assistenz katholischer Seelenhirten half.
Rechtzeitig zum Advent hat Regisseurin Maren Pfeiffer Bölls Nachkriegssatire im Theater Die Pathologie auf die Bühne gebracht. EnnE Schütz spielt im 50er-Jahre-Pullunder den anonymen Ich-Erzähler. Perfekt beherrscht er den hinterlistigen Böll-Ton und lässt die merkwürdigen Ereignisse allein durch die Sprache lebendig werden. Wenig zu sagen hat Karin Krömer auf der mit künstlichen Tannenbäumen ausgestatteten Bühne. Im schwarzen, mit Glitzersteinchen verzierten Kos­tüm verkörpert sie schlicht die schrullige alte Dame mit ihrem unheilbaren Weihnachtsbaum-Komplex. Jede Erwähnung von Onkel Franz entlockt ihr ein „dieser herzensgute Mensch“, und selig säuselt sie den „Frieden“ des Engels herbei, der zum Schmuck ihrer Tanne gehört wie die niedlichen gläsernen Zwerge, die unter Einwirkung brennender Kerzen auf glockenförmige Ambosse hämmern. Süßer die Glöcklein nie klangen als weiland in der unterirdischen Nibelungenschmiede.
Völlig unbeschadet überstand die Familie in ihrem Bunker den Zweiten Weltkrieg. Nur bei Tante Milla machten sich erste Anzeichen von Weihnachtsbaum-Entzug bemerkbar – mit bedenklichen Spätfolgen. Dass Vetter Franz, der immer schon zur Frömmigkeit neigte, seine Boxerkarriere gegen ein strenges Klosterleben eintauscht, ist nur eine der Katastrophen, die der ewige Heiligabend hervorruft. Es bestätigt sich sogar das Gerücht, dass der strebsame Vetter Johannes Kommunist wurde. Cousine Lucie, die freiwillig in einer Hakenkreuzstickerei aushalf, vertreibt sich die Zeit im neuen Wirtschaftswunderland nun in anrüchigen Lokalen mit Tänzen, die man nur als „existenzialis­tisch“ bezeichnen kann.
Mit der Zeit mussten arbeitslose Schauspieler die Rollen der Weihnachts-Gäste übernehmen, was der täglichen Freude keinen Abbruch tat. Aber angesichts einiger durstiger Ensemblemitglieder den Haushalt arg strapazierte. Doch für Tante Milla war täglich Weihnachten, falls sie nicht irgendwann gestorben ist.
Die Aufführung ist ein herrlich groteskes Weihnachtsmärchen für Erwachsene. E.E.-K.
Spieldauer ca. 60 Minuten,
keine Pause
Die Nächsten Termine:
31.12. / 30.01. / 31.01. / 1.02. / 22.02.14

Donnerstag, 30.01.2014

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