Warum das Kind in der Polenta kocht - kultur 102 - Januar 2014

"Warum das Kind in der Polenta kocht" in der Halle Beuel: Berührende Geschichte vom Leben in der Fremde

Heimat erkennt man am Geruch. Nach Po­lenta mit viel Öl, scharfem Paprika und fettigem Fleisch roch das Land der verlorenen Kindheit des Mädchens. Nun ist ein Wohnwagen das Zuhause. Der steht jetzt auf der Hinterbühne der Halle Beuel, auf der Rück­seite von Metropolis. Also am Rand der großen Städte, die wie eine Verheißung erschienen. Aus dem Land, das der Diktator mit Stacheldraht umzäunt hatte, ist die rumänische Artistenfamilie geflohen in den goldenen Westen Europas. Von einem großen Haus voller Luxus haben sie geträumt und sind Fremdlinge geblieben im ersehnten Paradies. „Meine Familie ist im Ausland zerbrochen wie Glas“, berichtet das kleine Mädchen, das im Zirkusmilieu aufwuchs. Ihr Vater war Clown, nicht wirklich ihr Vater und sprach Ungarisch. Ihre Mutter war Luftakrobatin.
Große Angst hatte das Kind, wenn die geliebte Mama an den Haaren oben in der Zirkus­kuppel hing und mit Bällen und Feuerfackeln jonglierte. Geholfen gegen die tägliche Furcht hat das grausame Märchen vom Kind, das im Polentatopf umkam.
In ihrem 1999 erschienenen Roman Warum das Kind in der Polenta kocht, erzählt Aglaja Veteranyi, die sich 2002 einige Monate vor ihrem 40. Geburtstag in Zürich das Leben nahm, ihre eigene Geschichte. In einer sehr bildhaften Sprache ohne jede Sentimentalität.
Die junge Schauspielerin Nadine Schwitter nimmt den eigenwilligen Ton des Romans auf, den sie zusammen mit dem Regisseur Philipp Ludwig Stangl für die Bühne bearbeitet und inszeniert hat. Von Stangl stammen auch das Bühnenbild und die Videos: triste Landschaften, die an den Wohnwagenfens­tern vorbeihuschen, Wunschträume vom sesshaften Dasein, alte Familienfotos. In einem Album mit vergilbten Erinnerungsbildern blättert das Mädchen, lässt die Mutter als Puppe auf einem Plattenspieler kreisen und springt munter über die Brüche einer doppelten Fremdheit als gesellschaftliche Außenseiterin und Heimatlose. Nach Heimat roch es wieder, wenn die Mutter in feinen Hotels heimlich Hühner schlachtete und briet.
Nadine Schwitter hält ihren Monolog perfekt in der Schwebe zwischen kindlicher Naivität und erwachsenem Selbstbewusstsein. Hinter ihren Schilderungen von kleinen Erlebnissen öffnen sich ständig unerwartete Abgründe. In ihrem fadenscheinigen Zirkusjäckchen zu kecken Shorts (Kostüme: Kathrin Plötzky) präsentiert sie stolz eine Fernbedienung für die ärmliche Show auf dem flugs zwischen Caravan und Bühnenwand gespannten Vorhang. An eine Zukunft als Filmstar denkt sie im anrüchigen Varieté, wo sie den gierigen Blicken fremder Männer ihren jungfräulichen Körper vorführt. Schamlos und stolz, denn der künstliche Flitter ist echter als die schäbige Wirklichkeit.
Das Glück habe es sich anders vorgestellt, gibt das Mädchen am Ende zu. Die trotzig komische Theaterstunde voller bitterer Poesie und schmerzhaft überraschender Intelligenz macht dennoch glücklich. Die Produktion lief schon erfolgreich in Bern und Hamburg, hat aber durch die neue Bühnensituation in Bonn noch mal an Intensität gewonnen. Das Publikum kann auf Plastikstühlen frei Platz nehmen und eine leise berührende Geschichte miterleben, die unter die Haut geht. Kein poppig hochgepustetes Spaßtheater, sondern eine kleine feine Vorstellung zum Nachdenken. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 Stunde
keine Pause
Geeignet für Zuschauer ab 14 Jahren, nicht für Kinder.
Die nächsten termine
13.01. / 27.01. / 2.02. / 3.02.

Donnerstag, 30.01.2014

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