Krieg und Frieden - kultur 101 - Dezember 2103

Krieg und Frieden im Kleinen Theater Bad Godesberg: Menschen in einer Zeit des Umbruchs

Wir schreiben das Jahr 1805, als Pierre, in Paris erzogener unehelicher Sohn des schwerreichen Besuchow und naiver Verehrer Napoleons, bei dem Empfang der Hofdame Anna Pawlowna auftaucht. Er passt nicht in diesen geschlossenen Kreis der in Konventionen erstarrten Petersburger Adelsgesellschaft, die sich kaum noch etwas zu sagen hat. Man agiert wie vor einem imaginären Publikum, feiert sich selbst und schmiedet kleine Intrigen, während fern im Westen ein Franzose sich anschickt, Europa zu erobern. Jahre später wird der verwirrte Pierre im brennenden Mos­kau versuchen, den französischen Kaiser zu ermorden.
Regisseur Aydin I??k hat Leo Tolstois monumentalen historischen Roman Krieg und Frieden mit seinen rund 250 Figuren im Kleinen Theater geschickt auf eine dreistündige Bühnenfassung reduziert. Er konzentriert sich auf die individuellen dramatischen Konflikte. Die neun Darsteller verkörpern jeweils mehrere Personen, springen gelegentlich aus ihren Rollen in den Erzählfluss und markieren mit kleinen gestisch-mimischen Haltungswechseln spielerisch virtuos all die Verlorenen und Verblendeten, denen auf den privaten und militärischen Schlachtfeldern der Sinn ihres Daseins abhandenkommt. Ab und zu erhellen Video-Einblendungen die graue Bühne von Rolf Cofflet, ansonsten reichen graue Stühle für Paläste, Landgüter und Feldherrnhügel. Grau ist auch die Grundfarbe der zeitlosen Kostüme von Kara Schutte. Eine blaue Schärpe macht aus Alexander Hanfland den russischen Zaren Alexander, während er als kurzsichtiger Pierre ständig seine Brille putzt. Groß, blond, und ein wenig schwerfällig, erbt er ohne viel eigenes Zutun den Grafentitel und das Vermögen seines Vaters. Der verarmte Fürst Kuragin (Rainer Hannemann) dient Pierre dann seine schöne Tochter Helene an (Ivana Langmajer, die auch als unglück­liche Sonja überzeugt), die ihre Reize kühl verteilt und bei der Scheidung abkassiert.
Nach Ruhm brennt Pierres hochadeliger Freund Andrej und verlässt deshalb seine ihm treu ergebene Gattin Lisa, die später im Kindbett stirbt. Carmen Betker spielt zutiefst anrührend die verzweifelte junge Frau und mädchenhaft hell die kleine Natascha, die ihr Herz mehrfach verliert und es schließlich Pierre überlässt. Nikolas Knauf ist der nervöse gertenschlanke Sinnsucher Andrej, dem die existenzielle Leere auf den Geist geht. In diesem sensiblen Mann lodert ein eisiges Feuer, bevor er an seinen Kriegswunden elend verreckt. Immerhin in den Armen der endlich erwachsen gewordenen Natascha und seiner Schwester Marja (Vanessa Frankenbach), die alle väterlichen Demütigungen tapfer ertragen hat. Josef Hofmann spielt den starrköpfigen alten Fürsten ebenso rabiat wie den verschnarchten Generalfeldmarschall Kutusow, der die kriegerische Vernichtung von Menschenmaterial ungerührt hinnimmt. Daniel Sonnleithner brilliert u.a. als verlotterter Anatol, bubenhafter Nikolai und Napoleon-Karikatur. Ursula Michelis verströmt das Flair der alten russischen Welt, die schon zu Bruch gegangen war, bevor im ‚vaterländischen‘ Krieg vor 200 Jahren Hunderttausende sinnlos starben. Die Inszenierung im Kleinen Theater zeigt – wie die literarische Vorlage – mit verzweifeltem Witz und eindringlichen Gefühlsmomenten das Grauen des Krieges und die Schrecken des Friedens. Sehr sehenswert! E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden,
inkl. einer Pause
Die nächsten Termine: bis 27.11.
und wegen der grossen Nachfrage
noch einmal vom 1.- 16.02.14

Dienstag, 14.01.2014

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