Fräulein Julie [Applause!] - kultur 101 - Dezember 2013

Fräulein Julie [Applause!] in der Werkstatt: Domi und Lady Gaga



Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die feine Dame in Altrosa auf dem Porträt im Hintergrund eine Getränkedose in der Hand hält. Kalorienfrei wahrscheinlich, aber eher ungesund wie die schwüle schwedische Sommernacht, in der das adelige Fräulein Julie herabsteigt in die Küche. Das ist das Revier von Christine, die in dem Projekt des jungen Schweizer Regisseurs Dominik Locher jetzt auf den Namen Lila hört. Obendrein ist sie schwanger von dem Diener Jean, den Locher einfach Domi nennt. In einer Videobotschaft ans Publikum erklärt der Regisseur fröhlich, dass er kürzlich Vater geworden ist. Was seine Inszenierung kurzzeitig aus dem Ruder laufen ließ, so dass die Premiere um einige Tage verschoben werden musste.
Locher identifiziert sich mit dem Domestiken Jean/Domi, dem die schöne Gräfin Julie heftige Avancen macht, um ihn dann verächtlich abzustrafen. Der attraktive junge Mann will nach oben, dreht den Spieß um und haut nach dem gesellschaftlich inakzeptablen Rausch die Gräfin in die Pfanne. Die großartige Laura Sundermann, unter der Intendanz von Karin Beier Ensemblemitglied am Kölner Schauspiel, gibt eine Julie, die nur spielen will mit dem anfangs eher zurückhaltenden Objekt ihres Begehrens. Grell geschminkt mit blonder Perücke und schwarzem Reifrock gebärdet sie sich wie ein hysterisches Geschöpf längst vergangener Zeiten, um dann im Latexbody den Vamp zu markieren. Mit neuer Biographie, aus der Gosse hochgestiegen zum Superstar.
Samuel Braun ist mit jungenhaftem Charme der verführte Verführer, der nach einer schallenden Ohrfeige zurückschlägt und aggressiv rebelliert gegen die Herrin. Der Medienmarkt wartet schon auf seine skandalösen Enthüllungen unter dem Titel „Meine Nacht mit der Gräfin“. Beim Profit ist Christine/Lila (Anna von Haebler) unerbittlich. Schließlich ist sie nicht umsonst ständig auf der Küchenzeile (Ausstattung: Lukas Stucki) zwischen Mixer und Töpfen herumgeturnt und hat alle Geschlechter-Kampfpositionen genau beobachtet. Elegant gekleidet mit Baby(puppe) auf dem Arm fordert sie unmissverständlich 60% der Einnahmen. Sonst wird das nichts mit der glücklichen Ehe.
Getwittert und auf Facebook gepostet ist ohnehin alles zur Geschichte von Domi und Julie. Was zu Strindbergs Zeit – Fräulein Julie wurde 1889 uraufgeführt, die Titelrolle spielte Strindbergs Gattin Siri von Essen – noch als privat galt, ist heutzutage Teil des unersättlichen Netzes. Julie ist nun Lady Gaga und verlangt Ruhm statt Ehre. Bis zur Erschöpfung verlangt sie nach „Applause!“ Der ließ bei der Premiere etwas auf sich warten, kam dann aber deutlich für eine spielerisch und musikalisch überzeugende Arbeit. Strindberg trifft Pop, was zwar nicht nötig ist, aber immerhin nicht ganz belanglos. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1 Stunde,
keine Pause

Weitere termine:
1.12./7.12./14.12./20.12./
12.01./24.01./30.01.

Dienstag, 14.01.2014

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