Ezio - kultur 60 - November 2009

Die Macht und der Held - Ezio von G. F. Händel in der Oper

Vor dem Spiegel probiert Kaiser Valentiniano Theaterposen aus. Der Mann ist maßlos eitel. Die ganze schicke römische Hofgesellschaft schaut ziemlich indigniert, wenn General Ezio blutverschmiert mit hocherhobenem Schwert hereintorkelt und als Trophäe einen abgeschlagenen Kopf in einer blutigen Plastiktüte mitbringt. Ezio (der historische Ætius, um 390 – 454) hat 451 im Dienste Roms das übermächtige Hunnenheer besiegt und dessen Anführer Attila getötet. Doch so hautnah mag man die Spuren des Gemetzels lieber nicht sehen und steckt den Feldherrn nach dem allfälligen kaiserlichen Lob erst mal in eine kleine Zinkwanne, um ihn sauber zu schrubben.
Der stolze Ezio ist völlig entgeistert von den Demütigungen, mit denen man ihn am Hof empfängt. Zumal man ihm klarmacht, dass der junge Kaiser seine Braut Fulvia zu ehelichen gedenkt und ihm aus politischen Gründen seine ältere Schwester Onoria anbietet. Der ehrliche Haudegen Ezio ist solchen Finessen nicht gewachsen und zeigt auf einem riesigen, schräg auf einer Showtreppe anrollenden Panzer, wer hier der Stärkere ist. Vergeb­lich – der Hof tanzt ungerührt weiter.
Der junge, als Kind ghanaischer Eltern in Deutschland geborene Countertenor Yosemeh Adjei singt und spielt die Titelrolle fabelhaft gut. Ezios Wut und Entsetzen hat er bereits bei den Schwetzinger Schlossfestspielen verkörpert, wo Günter Krämers Inszenierung von Händels selten gespielter Oper im Frühjahr ihre Premiere feierte. Dafür geprobt wurde in Bonn; in den für ihre Qualität bekannten Bonner Werkstätten entstanden das schöne Bühnenbild von Jürgen Bäckmann mit seiner raumgreifende Tiefe suggerierenden, stilisierten barocken Säulenflucht und die neuzeitlichen, eleganten Kostüme von Falk Bauer. Für die Bonner Präsentation der bereits im Fernsehen gezeigten Koproduktion mit Schwetzingen hat die junge Regisseurin Aldona Farrugia, Spielleiterin an der Hamburger Staatsoper, Krämers mit viel Beifall bedachte Inszenierung neu einstudiert. Die musikalische Leitung hat der junge ­Barock­­­­spezialist Andrea Marchiol übernommen, der dem klein besetzten, ungemein transparent spielenden Beethoven Orchester Bonn aus dem hochgefahrenen Graben glühende Leidenschaft und fein geschliffenen Barockglanz entlockt.
Krämers Regie lässt die Sänger meistens ganz vorn an der Rampe agieren. Ihren virtuosen Arien gibt er eine emotionale Tiefe, die die vielen Repetitionen stets neu mit Affekten auflädt. Das eher statische Figurenarrangement – vorangetrieben wird die Handlung in den Rezitativen – unterläuft er mit einem sehr präzisen Bewegungsvokabular. Zu den Akteuren gesellen sich fünf Tänzer, wobei der hervorragende Witaij Kühne auch als stummes Alter Ego des androgynen Kaisers fungiert. Mariselle Martinez, die in Bonn schon in der Titelrolle von Vivaldis Orlando furioso brillierte, glänzt mit ihrem wundervollen Mezzosopran als Valentiniano: ein selbstverliebtes Muttersöhnchen im Frack, fasziniert und abgestoßen von Ezios Männlichkeit. Ein verwöhntes, monströses Kind, das eher aus Langeweile das Staatsoberhaupt spielt.
Hinreißend singt Julia Kamenik die anspruchsvolle Partie der zwischen Pflicht und Neigung hin- und hergerissenen tapferen Fulvia. Fulminant verkörpert Susanne Blattert eine damenhafte Onoria, die auch im mafiosen Gefolge italienischer Staatspräsidenten gute Figur machen würde. Mit Sonnenbrille und sündhaft langbeinig wagt sie zu Händels Musik schon mal ein unverschämtes Tänzchen mit dem kaiserlichen Bruder. Zumal sie heimlich in den raubeinigen Ezio verknallt ist, den sie schließlich doch der treuen Fulvia überlässt. Der Bariton Giorgos Kanaris (neu im Ensemble) glänzt bei seinem Bonner Debüt als Fulvias zwielichtiger Vater Massimo, der um jeden Preis den verhassten Kaiser aus dem Weg schaffen will und jedem seine Pistole in die Hand drückt, der ihm dabei nützlich sein könnte. Nach per Wasserfolter erzwungenen Geständnissen schneidet der mächtige Senator einem unliebsamen Zeugen kaltblütig die Kehle durch.
Auf welcher Seite Ezios alter Freund Varo steht (perfekt: Martin Tzonev mit kraftvollem Bass), bleibt bis zum guten Ende offen. Ans Publikum verteilt er rote Nelken, während es für den nach einem angeblichen Aufstand in Handschellen vorgeführten Ezio gar nicht gut aussieht. Die kaiserliche Begnadigung ist nur eine Finte. Varo soll den Helden heimlich um die Ecke bringen. „Hingerichtet“ schreibt Valentinianos Double mit Kreide auf die schwarze Bühnenwand und notiert die Namen all der ermordeten römischen Herrscher.
Ezio bleibt freilich am Leben, und der Kaiser gönnt sich aus einer plötzlichen Laune heraus ein Happy End. Die schwarzen Kostüme sind plötzlich strahlend weiß – auch Ezio hat seine Kriegerkluft gegen einen feinen Anzug eingetauscht und gehört jetzt zur Hofgesellschaft. Der Panzer entschwebt zum Schnürboden, aus dem es rote Blütenblätter regnet, während die Tänzer auf der Treppe ihre große Show zelebrieren. Nur Fulvia bleibt sie selbst und kann leicht verwirrt ihren Geliebten in die Arme schließen. Bitter ironisches Finale einer großartigen Inszenierung, die musikalisch keine Wünsche offen lässt und die man auf keinen Fall verpassen sollte. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Im Programm bis: 19.12.09
Nächste Vorstellungen: 7.11./12.11./28.11./4.12./11.12./19.12.

Dienstag, 06.12.2011

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