Minna von Barnhelm - kultur 45 - März 2008

Spiel im Spiel - Minna von Barnhelm von Gotthold Ephraim Lessing im Kleinen Theater

Hauchdünn ist der Sieg der Komödie über die Tragödie in dem frühesten deutschen Lustspiel, das heute noch auf den Bühnen so lebendig ist, als ob es keineswegs vor 240 Jahren das Licht der Theaterwelt erblickt hätte. Dass Lessings Minna von Barnhelm das erste ernstzunehmende zeitkritische Stück in Deutschland ist und zudem ein sprachliches Meisterwerk, das virtuos mit den Konventionen des Theaters spielt, macht der Regisseur Hans Thoenies im Kleinen Theater wunderbar deutlich. Er nimmt Lessings Figuren aus ihrer Zeit heraus ernst und macht sie damit transparent für die Gegenwart. In den bezaubernden historischen Kostümen von Sylvia Rüger stecken zeitlos lebendige Menschen. Das Bühnenbild von Frank Joseph lässt sich mit wenigen Handgriffen vom bescheidenen Wirtshaus-Schankraum in das elegante Gäs­tezimmer verwandeln, das der Wirt (als schmieriger kleiner Geschäftemacher: Helmut Büchel) dem pekuniär klammen, grund- und ehrlos aus der Armee verabschiedeten, seelisch und körperlich verletzten Major von Tellheim geräumt hat für zwei fremde, offenbar zahlungskräftige Damen. Tellheims treuer Diener Just (Wolf-Guido Grasenick als liebenswürdiges Faktotum mit großem Herzen und lockerer Zunge) ist empört über die schlechte Behandlung seines Herrn.

Der große Konflikt um die verlorene Ehre des Majors von Tellheim ist von Anfang an obsolet. Das königliche Handschreiben, das ihn vom Verdacht der Bestechlichkeit freispricht, sein Vermögen wiederherstellt und ihm eine neue Anstellung verspricht, ist am 22. August 1763 (also ein halbes Jahr nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges, Lessing nennt den realen Spieltag seiner Fiktion bewusst, denn genau zu diesem Datum wurde in Berlin eine dem König direkt unterstellte Kommission zur Klärung der aus dem Krieg noch anhängigen Wechsel installiert) längst unterwegs und nur durch einen dummen Zufall noch nicht in seine Hände gelangt. Es geht jedoch weniger um das „Soldatenglück“, wie Lessing sein 1767 uraufgeführtes Drama Minna von Barnhelm im Untertitel nannte, sondern um das kluge junge Fräulein, das sich vor der Ehe den Anblick des „ganzen Herzens“ des Geliebten verschaffen will. Um Tellheims Herz spielt Minna mit vollem Einsatz.

Matthias Kiel ist ein Major von Tellheim, der eine große Zukunft vor sich haben könnte, wenn der Krieg und seine Folgen ihm nicht plötzlich die Karriere abgeschnitten hätten. Ein gebrochener Held, dessen gutes Herz ihn ins Unglück gestürzt hat und der die Ungerechtigkeit der Welt mit geradezu narzisstischem Eigensinn genießt. Gegen den Zusammenbruch seines soldatischen Ehrenkodexes können die ehrlichen Hilfsangebote seines ehemaligen Wachtmeisters Werner (der hoch gewachsene Robert Christott als tapferer Freund und pfiffiger Rechenkünstler) nichts ausrichten.
Für den Sieg der Vernunft braucht es weibliche Aufklärerinnen, die den Kopf oben behalten, wenn das Herz aus dem Takt gerät. Marie-Louise Hauser ist eine zartherbe Minna von Barnhelm, die weibliche Spitzfindigkeit elegant mit spielerischer Intelligenz verbindet. Wie sie ihrem wiedergefundenen Major ihr eigenes Drama vorspielt, augenzwinkend mit großen Tragödiengesten ein Spiel im Spiel entfacht und dabei sorgfältig die Regie über sein verstocktes Herz übernimmt, ist schlicht hinreißend und mindestens so kostbar wie die mehrfach vertauschten Ringe, mit denen sie ihren verblendeten Bräutigam an der Nase herumführt. Vanessa Rose als ihre naseweise Kammerzofe Franziska ist das muntere Mädchen aus dem Volk mit Haaren auf den Zähnen und Schalk im Nacken.

„Corrigez la Fortune“ ist die Devise des skurrilen Riccaut de la Marlinière, den Peter Nüesch herrlich komisch als Relikt des Absolutismus ins Spiel bringt. Ein lächerlicher Rokoko-Intrigant, der Minnas ernsthafte Intrige auf einen letzten riskanten Höhepunkt treibt. Sie braucht keine falschen Karten, um die flüchtige Fortuna zu lenken.
Viel zu lachen gibt es dennoch, wenn die sanft verstaubte militärische Ehre auf dem Schlachtfeld der Liebe unterliegt. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¾ Std. inkl. Pause
Im Programm bis: 2.03.08
Nächste Vorstellung: täglich

Dienstag, 12.08.2008

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