Der Golem - kultur 64 - März 2010

Musikalisch brillanter Menschenversuch: Der Golem in der Oper

Der Komponist Eugen d’Albert, von dessen über 20 Opern heute nur noch Tiefland wirklich bekannt ist, erzählt in seinem 1926 uraufgeführten Musikdrama Der Golem von der Angst der Juden im Prager Ghetto, von Ein- und Ausgeschlossenen, aber auch eine Geschichte von der Menschwerdung durch die Liebe. D’Alberts Musik ist von faszinierender Sinnlichkeit, frappierend in der dramatischen Zuspitzung, hoch emotional, oft überraschend in der Instrumentierung. Generalmusikdirektor Stefan Blunier, dessen Begeisterung für das Musiktheater des frühen 20. Jahrhunderts die Bonner Oper die ‚Ausgrabung’ dieses Werkes verdankt, malt mit dem großartigen Beethoven Orchester die düsteren Farben des Unheimlichen sorgfältig aus, bringt sentimentale Pas­telltöne zum Leuchten und setzt raffinierte Glanzlichter. Auch wenn diese Musik eklektizis­tisch die Operngeschichte von Wagner bis Puccini herbeizitiert und manchmal illus­trativ wie Filmmusik daherkommt – sie entfaltet eine ganz eigene, hinreißende Klanglichkeit. Das per Übertitelung eingeblendete Libretto von Ferdinand Lion (nach dem Golem-Drama von Arthur Holitscher von 1908) mit seinem spätsymbolistischen Wortschwulst lohnt einen gelegentlichen Blick; man muss jedoch nicht alles mitlesen, zumal sehr textverständlich gesungen wird.
Die Legende von dem aus einem Lehmklumpen geschaffenen Golem, der das jüdische Volk von Prag vor den Progromen beschützen soll, wurde nach zahlreichen Bearbeitungen in der Romantik zu Beginn des 20. Jahrhunderts erneut populär durch Gustav Meyrinks psychologisch vielschichtigen phantastischen Roman und die expressionistische Stummfilmtrilogie von Paul Wegener. Regisseurin Andrea Schwalbach inszeniert die komplexe Geschichte mit ihrer dunklen Symbolik sehr eindringlich als zeitlose Parabel von der Hybris eines Menschen, der sich göttliche Schöpfermacht anmaßt. Rabbi Loew wird getrieben von der Verzweiflung über das seinem Volk angetane Unrecht, aber selbst zum unmenschlichen Täter, der über seinen Menschenforschungen den lauteren Zweck seiner Bemühungen aus den Augen verliert.
Es gibt keinen pittoresken Ghetto-Realismus und keine vordergründigen Effekte in Schwalbachs klugem Denkspiel. Die raumbeherrschende mächtige Kuppel (Bühne: Anne Neuser) evoziert einen sakralen Ort und zugleich das Observatorium des Astronomen Tycho Brahe, eines im Text kurz genannten historischen Zeitgenossen des Rabbi. Eine heilige Halle der Wissenschaft, geöffnet zum Universum und verschlossen als geheimes Laboratorium. Seltsam versehrte und verstörte menschliche Wesen treiben sich im Hintergrund herum: Anscheinend Ergebnisse der nächtlichen Experimente des Rabbi. Riesige Videoprojektionen zeigen ganz normale heutige Gesichter. Um die Rettung der Menschen da draußen geht es ja. Zu ihrem Schutz soll ein starker künstlicher Mensch dienen. Die jüdischen Helfer des Rabbi tragen einheitlich schwarze Westen über langen weißen Hemden (Kostüme: Stephan von Wedel) an diesem Ort, wo die Zeit still zu stehen scheint und sich eine Holzscheibe dreht wie der Sockel eines Fernrohrs. Zur Bühne wird dieses Element, wenn Kaiser Rudolf II. (als Dandy im weißen Anzug: Giorgos Kanaris) hereinschneit, um die Untersuchungsobjekte als gespenstisches Schattentheater zu besichtigen. Eine schöne junge jüdische Gespielin (die Tänzerin Katrin Schyns) lässt er schnöde zur weiteren Verwendung zurück. Sie wird als stummes Rätsel durch das Experimentierfeld geistern: die andere Seite der Weiblichkeit von Loews Pflegetochter Lea. Die Sopranistin Ingeborg Greiner (seit dieser Saison im Ensemble und eine fabelhafte Elisabeth im Tannhäuser) singt diese stimmlich extrem anspruchsvolle Partie einfach wundervoll. Ihre Lea scheint pures Gefühl zu sein, vollkommen naiv dem Leben hingegeben. Möglicherweise ist auch sie ein Geschöpf der gefährlichen Operationen des Rabbi, dem Alfred Reiter (Gast von der Frankfurter Oper) seine ausdrucksvolle Bass-Stimme leiht. Reiter spielt einen schlanken, strengen Denker, dessen natürliche Autorität ins Wanken gerät, wenn er schmerzlich die grausame Verirrung seines Geistes erkennt. Ein treuer Jünger des großen Meisters ist der Tenor Tansel Akzeybek. Der blonde Gehilfe, dessen Stimme die Frauen im Panoptikum des Rabbi magisch anzieht, liebt die schöne Lea, die ihm jedoch vor allem das Geheimnis des stummen Fremdlings entlocken möchte, den die beiden Männer zu später Stunde leblos herangeschleppt und mit allerhand Beschwörungen aufgeweckt haben. Ein großer Mann mit unbeholfenen Bewegungen, dem Lea schließlich den Mund aufschneidet und ihm damit zur Sprache verhilft. Der Bariton Mark Morouse verkörpert darstellerisch ungemein anrührend und stimmlich differenziert dieses grobschlächtige Geschöpf, das nach der blutigen Erlösung zu den feinsten Tönen findet, aber die Plötzlichkeit seiner bewussten Existenz nicht begreifen kann. Dieser Golem ist ein verwundeter Riese, der die Gewalt seiner neuen Menschwerdung nur mit Gewalt beantworten kann.
Der Golem wird vom ersehnten Retter zum Doppelgänger seines Schöpfers und verbreitet mörderisches Unheil. Die Mauern der Kuppel verschwinden, zerrissene Zettel mit den magischen Zeichen der Kabbala und den naturwissenschaftlichen Formeln fliegen vom Himmel. Das Volk (exzellent vor allem im dritten Akt: der von Sibylle Wagner geleitete Chor) klagt den Rabbi an, der die Wut des Golem nicht mehr bändigen kann. Reizvolle sängerische Charakterstudien liefern dabei die Solisten Mark Rosenthal und Sven Bakin.
Unendlich sanft bringt die todesmutige Lea das Ungeheuer zur Ruhe. Als ob dieses Wesen gleichzeitig ihr Kind, ihr Bruder und ihr Geliebter wäre. Leben können die beiden nicht mehr. Mit dem Segen des Rabbi nehmen sie nach jüdischem Brauch Platz unter dem Hochzeitsschleier, der ihr Leichentuch wird. Das Experiment ist gescheitert.
Absolut gelungen ist dagegen die Reanimation einer Oper, die von den Nazis aus den Spielplänen verbannt wurde und dann unter dem Mantel der Geschichte verschwand. Ein biss­chen Zauberlehrling-Skepsis, Frankenstein-Horror und „La Belle et la Bête“-Kitsch reichten wohl auch nicht für einen dauerhaften Repertoire-Renner. Die erste CD-Einspielung des Werkes wird als Mitschnitt der Bonner Aufführung demnächst veröffentlicht. Man sollte jedoch nicht nur darauf warten, sondern sich das Live-Erlebnis dieses erstaunlichen, bei der Premiere heftig umjubelten Opernereignisses auf keinen Fall entgehen lassen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2½ Std., eine Pause
Im Programm bis: 9.05.10

Nächste Vorstellungen: 28.02./12.03./7.04./9.05.

Donnerstag, 27.01.2011

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