Heaven (zu tristan) - kultur 63 - Februar 2010

Der Himmel über Bitterfeld – Heaven (zu tristan) in der Werkstatt

Fritz Kater schreibt Theaterstücke und ist identisch mit Armin Petras, dem Intendanten des Berliner Maxim-Gorki-Theaters. Katers Heaven (zu tristan) kam 2007 in der Regie von Petras heraus und wurde mit dem „Friedrich-Luft-Preis“ als beste Berliner Aufführung der Saison ausgezeichnet. Es setzt die mit den hoch gelobten Dramen zeit zu leben, zeit zu sterben und We are Camera / Jasonmaterial begonnene Auseinandersetzung mit der real nicht mehr existierenden DDR fort. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall untersucht der Regisseur Jan Stephan Schmieding (*1975 in Oberhausen und nach erfolgreichen Inszenierungen u. a. am Schauspielhaus Zürich zum ersten Mal am Theater Bonn tätig – in Kooperation mit dem Fringe-Ensemble), was die Gegenwart übrig gelassen hat vom Leben der Menschen, die zu Hause waren in Städten wie Wolfen, das jetzt zu Bitterfeld gehört, wo vor fünfzig Jahren der „Bitterfelder Weg“ zur Förderung des künstlerischen Schaffens der Werktätigen begann.
Der Himmel über dem Bergbau- und Indus­triegebiet Bitterfeld ist sauber geworden, aus der ORWO-Filmfabrik wurde ein Museum, aus Produktionsbetrieben entstanden mit Millionensubventionen Freizeitparks. Kater stellt Figuren aus drei Generationen vor, deren Lebensgeschichten-Labyrinth von Träumen durchzogen ist wie der von Ausstatterin Marlene Baldauf mit niedrigen weißen Mauern versehene Bühnenraum. Die Grenzen sind offen, aber die Wege sind eng und meistens versperrt.
Schmieding hat Katers Textmaterial mit seinen vielen Anspielungen und Zitaten geschickt neu arrangiert. Er zeigt anders als die Berliner Uraufführung keine total kaputten Typen in einstürzenden Sinn-Neubauten, sondern erforscht mit sanfter Ironie individuelle Macken und Sehnsüchte. Trotz ihrer prekären Situation sind die Menschen in Heaven keine bildungsfernen Underdogs.
Da ist das ältere Paar Helga und Königsforst. Die arbeitslose Fotolaborantin packt die Trümmer ihrer Ehe in Umzugskisten und entdeckt dabei die Bilder einstiger Glücksmomente: die verdreckte Matratze, auf der die Tochter gezeugt wurde, Nacktzelten am Ostseestrand, die Kolleginnen in der Dunkelkammer. Tatjana Pasztor hält ihre Helga wunderbar im Gleichgewicht zwischen eiserner Munterkeit und verschrobener Realitätsverweigerung: Alles war gut und richtig, das bisschen Arbeitsplatzverlust und Beziehungsschrott erledigt sich doch mit links. Wolfgang Rüter verkörpert mit linkischem Charme den pessimistischen Psychiater Königsforst mit wissenschaftlichen Ambitionen und leicht gestörtem Verhältnis zur täglichen Seelenklempnerei. Die beiden flüchten sich immer wieder in die Biografien verkannter historischer Helden: die jüdische Physikerin Marietta Blau, die von ihrem Geliebten Victor Hess (Physiknobelpreisträger 1936), um ihre fotochemischen Forschungsergebnisse betrogen wurde, oder der Astronom Tycho Brahe, der im 16. Jahrhundert auf der dänischen Ostseeinsel Hven (Paradies) den Sternenhimmel untersuchte. Ihre Selbstrettungsversuche bleiben vergeblich: Sogar der gemeinsame Selbstmord beim Picknick vor der Mauer scheitert und gerät zu einer traurig komischen Szene. Der Seitensprung mit seiner liebesverletzten jungen Patientin Simone kostet Königsforst ohnehin Job und Heimat.
Simone liebt anders, nämlich den Architekturstudenten Anders Adlerkreutz, der sie verlässt, um im fernen Amerika menschenfreundliche Wohnungen zu entwerfen. Dem jungen Paar hat Kater die alte Geschichte von Tristan und Isolde etwas künstlich als Subtext zugeschrieben. Philine Bührer spielt das unschuldsblonde Mädchen, das mit seiner Einfalt kokettiert und trotzig auf der großen Liebe beharrt – eine verirrte Prinzessin der Plattenbauten. Ihre Simone/Isolde trägt ihre Unnahbarkeit vor sich her wie ihre selbstbewusst formulierte „posttraumatische Depression“. Manuel Klein gibt den blassen Intellektuellen Anders, der seiner Simone/Isolde noch ein Flugticket nach Las Vegas schickt, bevor er sich im Dickicht der Städte einen tödlichen Virus fängt. In den kranken Anders verknallt sich ausgerechnet Helgas und Königsforsts weltgewandte Tochter Sarah, Cellistin auf der Suche nach einem Engagement und nach Partnern fürs Bett. Justine Hauer spielt die realistische Lebenskünstlerin, die scheinbar als einzige den Absprung in die westliche Freiheit geschafft hat. In einer der schönsten Szenen verspricht ihr plötzlich vogelfrei gewordener Papa, den flüchtigen komischen Tölpel ausfindig zu machen.
Um Simones krankes Herz bemüht sich derweil der unerschütterliche Optimist Robert. Nico Link gibt diesem jungen Mann, der überall fantastische Chancen wittert, eine rührende Glaubwürdigkeit. Simones kleiner Bruder Micha verabschiedet sich in seine Fantasy-Welt und mutiert zum Raben. Konstantin Lindhorst flattert als verstocktes Kind der Nachwendezeit herum und bedient zudem sehr geschickt die Illusionstechnik. Am Bühnenrand zaubert er aus einem winzigen Kunstrasenstück per Kamera eine Wiesenlandschaft und aus Papierfetzen eine Milchstraße. Die schöne neue Welt ist ein Kinoeffekt.
Als schauerliche Kostümoper wird dagegen Wagners Liebestod-Vision herbeizitiert. Der sterbende Anders und die schwangere Simone verkleiden sich als Tristan und Isolde und entschwinden wonnig ins „ewig kurze letzte Weltenglück“ – eingeholt freilich von der Banalität der Wirklichkeit (Simone: „... kommt zurück hält ne predigt und ist völlig am arsch“).
Schmiedings streckenweise sehr witzige Inszenierung mischt furchtlos sentimentales Pathos mit grotesker Komik und legt über alle Widersprüche fast zärtlich den Schleier heiterer Melancholie. Die sieben Figuren auf der Suche nach dem Glück sind nie lächerlich. Nur ein bisschen anders und deshalb nachdrück­lich sehenswert. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1¾ Std., keine Pause
Im Programm bis: ??????
Nächste Vorstellung: 6.02.10

Dienstag, 11.01.2011

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