Turandot - kultur 62 - Januar 2010

Emanzipierte Prinzessin - Turandot im Kleinen Theater

„Ich sehe durch ganz Asien das Weib / Erniedrigt, und zum Sklavenjoch verdammt, / und rächen will ich mein beleidigtes Geschlecht / An diesem stolzen Männervolke…“. Die chinesische Prinzessin Turandot kämpft bei Schiller nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern für das Recht ihres ganzen Geschlechts auf Selbstbestimmung. Behauptet sie jedenfalls. Und weil sie nicht nur schön, sondern auch sehr gescheit ist, stellt sie den Bewerbern um ihre Hand sehr schwere Rätsel. Wer für die Lösung nicht genug Verstand im Kopf hat, verliert diesen halt. Sehr zum Leidwesen ihres kaiserlichen Papas, dem die ständigen Hinrichtungen tapferer Prinzen langsam auf die Nerven gehen.
Die Geschichte von der grausamen chinesischen Prinzessin Turandot ist aus der Märchensammlung Tausendundeine Nacht bekannt. Der venezianische Dichter Carlo Gozzi (von dem auch die Vorlage für Prokofjews Liebe zu den drei Orangen stammt) machte aus dem faszinierenden Stoff ein Drama. Friedrich Schiller schuf für die Weimarer Bühne eine neue deutsche Übersetzung und versteckte in seinen Blankversen eine Menge aufgeklärten Geist. Bei ihm ist Turandot kein männermordendes Ungeheuer, sondern eine eigenwillige junge Frau, die ihre Klugheit als Waffe zur Verteidigung gegen die männliche Unterdrückung benutzt.
Zu Schillers 250. Geburtstag hat das Kleine Theater neben dem Wallenstein gleich noch die eher selten präsentierte Turandot, Prinzessin von China auf den Spielplan gesetzt. Rolf Heiermann inszeniert das 1802 uraufgeführte Stück mit viel Witz, bricht den hohen klassischen Ton geschickt durch die Leichtfüßigkeit der Commedia dell’Arte und führt es so elegant wieder zur italienischen Typenkomödie zurück. Fritz Peter Schmidle ist als Truffaldin der pfiffige Spielmacher, der auch schon mal als Kulissenschieber (reizvolle orientalische Ausstattung: Ottowerner Meyer) fungiert. Vom frechen Harlekin wechselt er flugs zum braven Minister am Hof zu Peking, wo Kaiser Altoum (Rainer Hannemann) lieber ein guter Landesvater als ein Tyrann sein möchte. Wenn nur dieses verflixt aufgeweckte Töchterchen nicht die Männer reihenweise kopflos machte. Dorothea Kriegl spielt Turandot nicht als kaltblütige Amazone, sondern als ganz natürliches Mädchen, das durchaus ein Herz unter dem silbrigen Prinzessinnengewand trägt. Dass sie nicht nur sprachlich kunstvolle, gedanklich raffinierte Rätsel erfinden kann (Schiller fand an dem Fragespiel so viel Vergnügen, dass er für Turandot gleich noch ein knappes Dutzend zusätzlicher Rätsel schrieb, die er zwischen seine Gedichte streute), sondern sich möglicherweise selbst eins ist, erfährt sie, als ein junger Flüchtling auftaucht und mit dem Schlachtruf „Tod oder Turandot!“ alles wagt. Zumal er schnell begriffen hat, dass es nicht um richtige Antworten, sondern um verdichtete Botschaften geht.
Kalaf heißt der edle Fremde und ist sehr blond und liebenswürdig. Tobias Rosen hat in der Rolle alles, was ein perfekter Märchenprinz braucht. Einer wie er schnappt nach dem Sieg nicht gleich die Beute, sondern lässt sie in ihren eigenen Hirngespinsten zappeln. Für die Liebe setzt er höchst riskant seine Identität aufs Spiel. Klar, dass beim Millionenquiz die entsprechende TV-Musik ertönt und in der Nacht vor der Entscheidung leise Puccinis Nessun dorma! anklingt. So viel Halbbildungs-Bodensatz muss sein, wenn eine naseweise chinesische Märchenprinzessin im Grunde schon von den Qualitäten ihres Traumprinzen überzeugt ist.
Natürlich findet Turandot mit Hilfe ihrer selbstlos treuen Sklavin Zelima (in einer feinen Charakterstudie: Christina Hartmann) heraus, wer ihr Paroli geboten hat und ihr Gemahl werden will. Weibliche Freiheit hat bei der Dienerschaft deutliche Grenzen. Der Eifersuchtskonflikt mit der stolzen Sklavin Adelma ist gestrichen zugunsten der Konzentration auf die in jeder Hinsicht ebenbürtige Auseinandersetzung zwischen Turandot und Kalaf. Der Sohn des großen Timur ist sowieso die beste Lösung für Turandots Emanzipationstraum und ein politischer Idealfall.
Ein schauspielerischer Glücksfall ist der feist komische Helmut Büchel als intriganter Höfling Tartaglia. Als in den asiatischen Kriegswirren verschollener und in Peking wiedergefundener treuer Hofmeister Barak überzeugt Konrad Domann. Fred Schladen (Wachhauptmann Brigella) und Moritz Bürkner (Ismael, Begleiter des geköpften Prinzen von Samarkand) sind reizvolle Randerscheinungen im kurzweiligen Spiel um die märchenhafte Lebensfreiheit. Sympathisch schnörkellos erzählt, intelligent pointiert, amüsant im Detail, völlig verstörungsfrei unterhaltsam.
Geeignet für Zuschauer ab acht Jahren in Begleitung Erwachsener und poetische Genießer aller Jahrgänge. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Im Programm bis: 18.01.10
Nächste Vorstellungen: fast täglich

Mittwoch, 05.01.2011

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