Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran - kultur 32 - Dezember 2006

Toleranz und Menschlichkeit - Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran von Eric-Emmanuel Schmitt im Kleinen Theater

Monsieur Ibrahim sieht mit dem Herzen, und weil er genau weiß, was in seinem Koran steht, kann er manchmal auch Gedanken lesen. Im Kleinen Theater hat Paul Bäcker Eric-Emmanuel Schmitts Geschichte einer wunderbaren Freundschaft inszeniert, die in einer anderen Version bereits im Jungen Theater Bonn ein Renner war. Der ehemalige Schlager- und Fernsehstar und gefragte Bühnenschauspieler Ilja Richter verkörpert virtuos den Erzähler - ein Glücksfall für das Kleine Theater. Richters Mutter war Jüdin, mit dem Judentum in Deutschland hat er sich in einem Buch selbstironisch auseinandergesetzt. Schlank und grauhaarig ist er der alt gewordene kleine Moses aus der Rue Bleue, der irgendwann in die Rolle seines väterlichen Freundes Ibrahim geschlüpft ist. Der heißt auch nicht zufällig so: Abraham gehört zu den Urvätern der Juden, Christen und Muslime.
Richter behält den leisen, humorvollen Erzählton von Schmitts Geschichte bei; die Figuren werden in der Rückschau lebendig. Einige tauchen auch aus den liebevoll gemalten Kulissen (Bühne: Charles Copenhaver) leibhaftig auf: Thomas Henniger von Wallersbrunn zum Beispiel als strenger, verschlossener Vater, Antje Mönning als Mutter, die die Familie früh verlassen hat. Monsieur Ibrahim ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden im Paris der 60er Jahre, von der pubertären Entdeckung des anderen Geschlechts bei den käuflichen Mädchen der Rue du Paradis, von der Einsamkeit, Armut und Sehnsucht nach Zärtlichkeit. Moses, genannt Momo, beklaut den alten Krämer Ibrahim - schließlich ist der ja „nur ein Araber". Dass kein Mensch ‚nur' etwas ist und er selbst auch kein Araber, sondern ein Sufi, erklärt er dem Jungen mit viel listigem Charme und tiefer Weisheit. Ilja Richter spielt diese Dialoge, springt von der kindlichen Naivität zur erfahrungsgesättigten Lebensklugheit. Unsentimental, aber mit dem unüberwindlichen Lächeln, das Monsieur Ibrahim ihm beigebracht hat. Behalten kann man nur das, was man verschenkt: Glück, Herzenswärme, Liebe zum Leben und auch die Trauer. Momos leiblicher Papa hat außer seiner Verzweiflung nichts mehr zu verschenken und geht daran zugrunde. Momos geistiger Vater Ibrahim verschenkt alles und bringt auf der gemeinsamen großen Reise in den Orient das ganze Leben zum Tanzen, bevor er sich in sein Paradies verabschiedet. Am Ende nennt sich Moses Mohammed und ist ein neuer Monsieur Ibrahim, der Tag und Nacht in seinem Laden hockt und die Welt mit heiterer Gelassenheit beobachtet. Die Blumen des Koran gibt es tatsächlich: zwei kleine getrocknete blaue Blumen zwischen den Seiten des heiligen Buches. Ein Stück aufgehobenes Leben und ein Zeichen der ewigen Sehnsucht nach Menschlichkeit und Versöhnung über alle Grenzen hinweg. Eine unterhaltsame und anrührende Aufführung ohne erhobenen Zeigefinger - ein Märchen vielleicht, aber vor allem ein liebenswürdiges Stück Alltagsphilosophie über die immer neu zu lernende Fähigkeit zum Glücklichsein. Der Schlüssel dazu kann ganz einfach ein Lächeln sein. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 11/2 Std. ohne Pause
Im Programm: bis 22.12.06

Donnerstag, 25.01.2007

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