Die Familie Schroffenstein - kultur 32 - Dezember 2006

Fluch des Misstrauens - Die Familie Schroffenstein von Heinrich von Kleist in den Kammerspielen

Die fast leere, düstere Bühne ist streng symmetrisch aufgebaut für den mörderischen Zwist der beiden Linien der Familie Schroffenstein, die nicht einmal miteinander verfeindet sind, sondern nur durch einen fatalen Erbvertrag aneinander gekettet. Das Haus Rossitz auf der einen, das Haus Warwand auf der anderen Seite, aus der Tiefe ab und zu auftauchend der Wald als kahler Abgrund aus rohem Gestänge mit kalten Neonröhren. Das Bühnenbild von Damian Hitz ist kein Ort zum Leben; die jungen Triebe der beiden Familienzweige blühen in Kleists Trauerspiel, seinem ersten Drama überhaupt, von Anfang an zum Grab hin. Kleist war 24 Jahre alt, als er das Stück im Frühjahr 1802 schrieb, im November 1811 verabschiedete er sich aus einem Leben, dessen Wirklichkeit an seinem steilen, immer absturzgefährdeten Wahrheitsanspruch zerschellte.
Der Regisseur Ingo Berk, der am Premierentag seinen 31. Geburtstag feierte und in der vergangenen Saison in Bonn bereits mit seiner Inszenierung von Sophokles' Trachinierinnen auf sich aufmerksam machte, hat den Mut, Kleists Blankverse radikal ernst zu nehmen und die Schreckensgeschichte leise und völlig schnörkellos zu erzählen. Und sich Zeit zu nehmen für psychologische Entwicklungen jenseits des Schauermärchens und historischen Ritterschauspiels. Ein paar Figuren sind gestrichen oder zusammengefasst; alle sind Vereinzelte, die selten zueinander sprechen, sondern voller Zweifel in ihren Seelenabgrund blicken - dialogunfähige Marionetten eines unbarmherzigen Schicksals. Man trägt Schwarz und glänzende Reiterstiefel (Kostüme: Kathrin Stadeler) bei den Schroffensteins, stets gerüstet zum Kampf auf Leben und Tod. Man trauert auf beiden Seiten um ein Kind, was ein Zufall sein könnte, wenn es nicht diesen unseligen Vertrag gäbe, der der überlebenden Linie das gesamte Vermögen der aussterbenden garantiert. Ein auf der Folter erpresstes scheinbares Geständnis spricht für die mörderische Heimtücke der Warwander, das plötzliche tödliche Fieber des dortigen Stammhalters nährt einen Verdacht gegen die Rossitzer.
Bernd Braun als mit eiskalter Wut aufbrausender Rupert, Chef des Rossitz-Clans, will mit den vermeintlichen Mördern kurzen Prozess machen und wird von seiner nachdenklichen Gattin Eustache (großartig zwischen weiblicher Sanftheit und mütterlicher Tapferkeit: Tatjana Pasztor) buchstäblich gezügelt. Rolf Mautz als Warwander Patriarch Sylvester setzt auf die Vernunft, die seine Frau Gertrude (irrlichternd zwischen Verstand und Wahnsinn: Tanja von Oertzen) nicht mehr zügeln kann. Die Spielzeugpferdchen ihres toten Sohnes stellt sie am Bühnenrand auf wie eine Rachearmee ihrer verletzten Seele. Arne Lenk, neu im Bonner Schauspielensemble, verkörpert die drei treuen Vasallen, die zwischen den Mahlsteinen der Rachsucht aufgerieben werden, Stefan Preiss den leicht undurchsichtigen Vermittler Jeronimus aus der Schroffensteinschen Nebenlinie Wyk, der seine Pendeldiplomatie vor den Toren von Rossitz mit dem Leben bezahlt.
Von einem gemeinsamen Glück nur träumen können die beiden jungen und letzten Sprosse der Familien. „Du sprachst von Mord.“ - „Von Liebe sprach ich nur.“ So beginnt keine stürmische, alles überwindende Leidenschaft. Der Wald, in dem Agnes und Ottokar sich heimlich treffen, von Anfang ahnend, wer sie sind und welches Verhängnis sie bedroht, ist keine freie Natur, obwohl hinter dem jungen Paar in Unschuldsweiß ab und zu ein Sternenhimmel aufglüht. Maria Munkert ist das Mädchen aus dem Hause Warwand, knabenhaft kühn und gleichzeitig sehr zart und verletzlich. Jonas Gruber ist der junge Mann aus dem Hause Rossitz, ein sentimentaler Held, der die Geliebte schwärmerisch zur Madonna verklärt. Die beiden bleiben sich trotz aller Gefühle fremd, der Graben aus Misstrauen und Verblendung ist zu tief.
Einen kurzen Moment der Vertraulichkeit und Nähe gibt es zwischen Ottokar und seinem Halbbruder Johann, der ebenfalls für Agnes entbrannt ist (Hendrik Richter als Außenseiter und verzweifelt Liebender). Ruperts Bastard kippt nicht nur die starre Familiensymmetrie, sondern verliert in seiner rasenden Eifersucht auch selbst das Gleichgewicht und schließlich den Verstand. Die Auflösung der Rätsel um den Tod des kleinen Rossitzers liefert ausgerechnet die Totengräberstochter Barnabe, die in einem seltsamen magischen Ritual ihr Glück zu erzwingen sucht. Nina V. Vodop'janova mit rotem Cape darf kurz etwas Farbe und naive Menschlichkeit in die grausam verblendete Welt bringen. Zu spät: Das Vernichtungswerk der beiden Väter ist nicht mehr aufzuhalten. Der fatale Kleidertausch von Ottokar und Agnes ist ein letzter scheuer Liebestraum und wird hier nur angedeutet. Dass die Väter in ihrem Wahn ihre eigenen Kinder umbringen, ist hier nicht mal mehr einer Verwechslung geschuldet, sondern nur noch bittere Ironie.
Berk lässt diese dramatische Maschinerie, in der mit ungeheurer Präzision - gleichzeitig absolut logisch und völlig absurd - ein Zahnrad ins andere greift, langsam und unerbittlich arbeiten. Sehr konzentriert auf die Musikalität und Vielschichtigkeit von Kleists Sprache und die Tiefendimensionen der Handlung. Eine Inszenierung, die auch den Zuschauern eine Menge Konzentration abverlangt. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 1/4 Std. mit Pause

Donnerstag, 17.03.2011

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