Versuchung (Euro Theater Central)

kultur 16 - April 2005

Surreale Teufelei im Reich der reinen Vernunft.
”Versuchung” von Václav Havel im Euro Theater Central

René Magrittes anonyme Männer mit Bowlerhut aus dem Gemälde mit dem merkwürdigen Titel ”Monat der Weinlese - Herbst” starren unbewegt durchs Fenster des Instituts, das sich der reinen Wissenschaft verschrieben hat. Es ist die Bedrohlichkeit der entindividualisierten Masse, die István K. Szabós Inszenierung von Václav Havels 1986 uraufgeführtem Stück ”Versuchung” damit ständig präsent hält. Der 27jährige, im rumänischen Siebenbürgen als Angehöriger der ungarischen Minderheit geborene Regisseur hat sich in seiner Heimat längst einen Namen gemacht und leitet als einer der jüngsten Intendanten das renommierte große Dreispartenhaus im zentralrumänischen Odorheiu Secuiesc. Nach Deutschland, wo er zum ersten Mal arbeitet, hat ihn das Bonner Euro Theater Central geholt. Um es gleich zu sagen: Das Vertrauen hat sich gelohnt.
Szabó (nicht verwandt mit dem berühmten ungarischen Filmregisseur István Szabó, der z.B. mit ”Mephisto” nach Klaus Mann die deutschen Kinos eroberte) arbeitet in der kongenialen Ausstattung der jungen Niederländerin Marijke Brinkhoff das Groteske in der Faust-Paraphrase des von den Kommunisten verfemten Schriftstellers und Menschenrechts-Aktivisten Havel heraus, der von 1993 bis 2003 als erster demokratisch gewählter tschechischer Staatspräsident seinem Land den eisernen Vorhang öffnete und es in Zentraleuropa neu verortete. Schon in den 70er Jahren hat sich Havel im Gefängnis mit dem Faust-Thema beschäftigt und die Versuchungen des Apparates mit seinen Denkverboten und Denunziationsangeboten hautnah erlebt. Szabó lässt in seiner ”Versuchung” die politische Parabel immer durchscheinen - sympathisch unaufdringlich und fantasievoll mit den Mitteln des absurden Theaters.
Auf dem klinisch weißen Fliesenboden bewegen sich die auf fünf Darsteller reduzierten Figuren wie auf dünnem Eis, unter dem die klirrende Angst vor dem Unaussprechlichen lauert. Wenn Dr. Heinrich Faustka (hervorragend als verhuschter Geistesmensch mit sinnlichen Ambitionen aufs Übersinnliche: Bruno Tendera) die Fensterläden vor Magrittes perspektivlosem Hyperrealismus schließt, öffnet sich sein privates magisches Universum als Hausaltar - beleuchtet von ein paar flackernden Kerzen: ein Forscher auf Sparflamme, ein meditativer Sucher ohne transzendentale Gläubigkeit, ein kleinbürgerlicher Abweichler von der verordneten Lehre, der auch als Selbstversucher keinen Ausweg aus der Leere seiner Existenz findet. Johannes K. Prill taucht als mephistophelischer Versucher Fistula auf wie das inkarnierte Böse im 25. Kapitel von Thomas Manns ”Doktor Faustus”: ein ironischer, allwissender Teufel im selben Diminutiv wie sein scheinbar heroischer Gegenspieler, der allenfalls ein Fäustchen ballt gegen die herrschende Ideologie. Im richtigen falschen Leben ist Fistula nur der skurril in trüben Tümpeln tauchende, aalglatte Stellvertreter des allmächtigen Institutschefs, den Daniel Andone mit roter Brille, schwarzem Intellektuellen-Outfit und Mundharmonika wie aus einem berühmten Italowestern brillant undurchsichtig verkörpert: ein eleganter Rächer der Vernunft mit göttlich schlechtem Gewissen. Wie Faustka mit seinen Spekulationen über das, was die Welt im Innersten zusammenhält, die kleine Institutssekretärin Margret (als hübsche naive Gretchen-Versuchung: Jasmina Chehili) für sich einnimmt, geht nicht ganz mit rechten Dingen zu. Dass sie am Ende nackt und tot unterm Plastikregenmantel durch die Szenerie der zum absurd entlarvenden Kostümfest degenerierten Walpurgisnacht geistert, verdankt sie Faustkas egozentrischer Schwäche und seiner ängstlichen Verstrickung zwischen den Fronten des eigenständigen Denkens und der dumpfen Macht. Und der banalen Eifersucht seiner Geliebten Wilma (Julianna Viczián mit feuerroten Haaren als hexenhaft sinnliche Versuchung und parodistische Mischung aus Frau Marthe und mythischer Helena), die das Spiel mit Verrat und Täuschung raffiniert beherrscht.
Es ist ein böses, eiskaltes Aquarium verfehlter Existenzen, das Szabó mit vielen Wasser-Metaphern aus dem Repertoire der Tiefenpsychologie hier auf die Bühne bringt. Liquide - übrigens auch musikalisch blendend genau durchstrukturiert - und hoffnungslos durchsichtig wie alle Ideologien, die die biblischen Menschenfischer pervertieren. Faustkas hilf- und rücksichtslose Selbstrettungsversuche laufen ins Leere. Der Lohn für seine Selbstverleugnung ist ein Leichentuch über dem entblößten Leib. Seltsamerweise ist das überhaupt nicht tragisch, sondern nur ein lächerlich gemeiner Witz, den sich die Geschichte ab und zu auf ihrer zufälligen Tagesordnung leistet.
Spielerische Pathosverweigerung mit Krimispannung auf hohem Niveau: absolut sehenswert! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std. Minuten

Donnerstag, 23.11.2006

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